Magisterarbeit: "Blaue Blume im Gemüsegarten. Ausgewählte Fragen zur Koexistenz eines romantischen Individuums mit der Gesellschaft geschildert in Novalis` „Heinrich von Ofterdingen“
we Wrocławiu
Katedra Neofilologii
Joanna
Kuruc
Błękitny kwiat w ogrodzie warzywnym
Wybrane problemy indywiduum
romantycznego
wobec koegzystencji ze
społeczeństwem
ukazane w „Henryku z Ofterdingen”
Novalisa
Praca
magisterska
napisana
pod kierunkiem
dr
Agnieszki Jóźwiak
Wrocław 2012
WYŻSZA
SZKOŁA FILOLOGICZNA
we Wrocławiu
Katedra
Neofilologii
Joanna Kuruc
Blaue
Blume im Gemüsegarten
Ausgewählte
Fragen zur Koexistenz eines romantischen Individuums mit der Gesellschaft
geschildert
in Novalis` „Heinrich von Ofterdingen“
Praca
magisterska
napisana
pod kierunkiem
dr
Agnieszki Jóźwiak
0. Vorwort
Das Individuum und der Subjektivismus sind Worte, ohne
die eine Charakteristik der deutschen Romantik undenkbar wäre; sie gehören zu
Lieblingsgenständen der damaligen Philosophie, Theologie und Literatur. In der
Zeit der Romantik erklärte man das subjektive Empfinden für eine natürliche
Eigenschaft des Menschen. Somit wurde eine durchaus Ich-bezogene Wahrnehmung
aller Dinge zum Grundriss des Epochenbildes.
Wenn man aber annimmt, dass das subjektive Erlebnis das
einzig Wirkliche wäre, so muss man die Kluft, die sich infolgedessen zwischen
einzelnen Individuen schlägt, als eine unvermeidbare Folge davon
berücksichtigen. Bleibt diese Spaltung für das Individuum etwas Faszinierendes,
so bereitet sie ihm auch Schmerzen. Die schrecklichste Qual bringt das
Bewusstsein der darin mündenden Einsamkeit.
Diesem Problem gesellt sich noch ein anderes: Wo nämlich
ein Individuum auf Grenzen stößt, wo man ihm Zügel irgendwelcher Normen
einzusetzen versucht, dort muss es zu Konflikten kommen. Die Festlegung der
meisten Grenzen ist der Gesellschaft zuzuschreiben.
Der vorliegenden Arbeit stellt sich eine doppelte
Aufgabe.
Erstens wird hier, nach einer kurzen Charakteristik der
Epoche, romantische Theorie in Bezug auf das Problem vom Individuum in der
Gesellschaft dargestellt. Es erweist sich als hilfsreich, das uns
interessierende Thema auf dem Hintergrund der einzelnen Hauptmotive der Epoche
unter die Lupe zu nehmen.
Das zweite Anliegen dieser Arbeit besteht darin, diese
Theorie, schon aber in der in die schriftstellerische Praxis umgesetzten Form
zu untersuchen. Ein Held aus einem der Hauptwerke der deutschen Frühromantik
soll Gegenstand folgender Untersuchung sein. Es handelt sich um den jungen
Heinrich aus dem unvollendeten Roman „Heinrich von Ofterdingen“ geschrieben von
Novalis – und um genauer zu sein, um seinen Weg nach Koexistenz mit der
Gesellschaft im ersten – vollendeten – Teil des Romans. Das Verhalten der Hauptfigur ihren
Mitmenschen gegenüber lässt sich natürlich oft durch bisherige Erfahrungen mit
den Letzteren erklären. Umso interessanter erscheint die Frage, welche
Konflikte und Probleme entstehen, und weiter – ob sie zu überwinden wären oder
nicht, und wenn ja, dann wie. Es ist prüfenswert, wie der Schriftsteller seinen
Helden in der Gesellschaft leben ließ und welche Auswege und Methoden des
Handelns in Problemsituationen er für ihn fand.
Die ganze Untersuchung soll die Antwort geben, inwieweit
es für ein romantisches Ich möglich ist, in der Gesellschaft ungestört zu
existieren und wie es sich den Anderen gegenüber verhalten sollte, um sich eine
friedliche Koexistenz mit ihnen zu erringen, ohne dabei seine eigene Individualität
opfern zu müssen.
Der Ausgangspunkt – der Interessenkonflikt – ist schon im
Titel der vorliegenden Arbeit mit eingeschlossen. Die Gegenüberstellung des
romantischen Ich und der Gesellschaft verbirgt sich hinter den Sinnbildern von
der blauen Blume und dem Gemüsegarten. Das letztere konstruierte die Autorin
der vorliegenden Magisterarbeit selbst, um seine Antinomie der blauen Blume
gegenüber zu betonen. Ein Gemüsegarten ist nämlich ein Ort, wo die Schönheit,
das Ästhetische, das Erhabene und das Außergewöhnliche normalerweise nichts zu
suchen haben. Dort zählen nur solche Pflanzen, die vom Nutzen sind. Genauso
sieht es mit der Gesellschaft aus: für sie zählt das Praktische: die
Produktions- und Reproduktionskräfte,
die Arbeitsfähigkeit und ein gewisser Gleichschritt im Handeln und
Denken. Ein romantisierendes Individuum, ein Mystiker, ein Poet – sie passen
hier nicht überein. Das Symbol der blauen Blume, die hier als Sinnbild solch
eines Individuums benutzt wird, stammt von Novalis – aus seinem unvollendeten
Roman „Heinrich von Ofterdingen“. Dieses Symbol wurde von den
Literaturforschern verschiedenartig interpretiert. In den meisten Fällen steht
es für die Erfüllung, fürs Absolute, für das Erhabenste, was man finden oder
erleben kann; für manche kann das die Poesie und die Liebe bedeuten; Der
Geisteswissenschaftler Rudolf Steiner ging einen Schritt weiter und
interpretiere das Anschauen der blauen Blume als ein mystisches Erlebnis, eine
Offenbarung der höheren Welten, das Hineinschauen in die Sphären des Geistes;
und als Resultat dieser Anschauung – dieser Offenbarung – die innere
Entwicklung des Menschen, das Hinaufsteigen auf eine höhere Stufe des
Menschentums (Vgl. Prokofieff 1987). Für die Zwecke dieser Arbeit bleibt es
jedoch unwichtig, wie man dieses Symbol von Novalis selbst versteht, denn hier
wird das zu untersuchende Problem von den Höhen des Himmels wieder auf die Erde
hinuntergeführt: auf die irdische Existenz eines solchen Menschen, der in
seinem Inneren die Sehnsucht nach der blauen Blume trägt, auf seine irdische
Existenz unter anderen Menschen, die kaum Interesse an den schönen Blumen
zeigen.
1. Epochenbild der Romantik im Abriss
1.1
Romantik als kulturgeschichtliche Epoche
Unter dem Namen Romantik versteht man eine
kulturgeschichtliche Epoche, die um Ende des 18. Jahrhunderts, etwa um das Jahr
1795 begann. Die zeitlichen Endgrenzen sind fließend und fallen ungefähr auf
Biedermeier/Vormärz und Junges Deutschland.[1]
Der Begriff „Romantik“ umfasst sowohl Literatur als auch Musik[2]
und die bildende Kunst.
Üblicherweise teilt man die Epoche in drei Phasen auf,
etwa die Früh- die Hoch- und die Spätromantik.
Die Frühromantik (ca. 1795 – 1804).
Die Frühromantik ist durch das Streben nach einem neuen
philosophisch-ästhetischen Programm gekennzeichnet; hinzu kam auch die
Förderung der Frauenemanzipation[3]
und der freien Liebe. Die Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel,
Friedrich Wilhelm Schelling, Heinrich Wackenroder, Friedrich von Hardenberg
(Novalis) und Ludwig Tieck sind mit der Frühromantik zu assoziieren, die nach
dem örtlichen Zentrum die Jenaer Romantik[4]
genannt wurde. Die Zeitschrift „Athenäum“[5]
war das Programmblatt dieser ersten Phase (Böttcher et al. 1973: 79,106-107
[1966]).
Die Hochromantik (1804 – 1815).
Die Heidelberger Romantik, mit ihren Hauptvertretern
Clemens Brentano, Achim von Arnim und den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm
widmete sich schon anderen Themen. Vor allem sind hier das Interesse am
Volkstum, Geschichte und sprachwissenschaftliche Forschung auffallend (Vgl.
Bark et al. 1989: 182,183). Auch Joseph von Eichendorff und Ernst Theodor
Amadeus Hoffmann sind schon während der Zeit tätig.
Die Spätromantik (1815 – 1848).
Die Spätromantik, mit Zentren in Berlin, Wien, Nürnberg,
Karlsberg, Heidelberg, und repräsentiert u.a. von Eichendorff und E.T.A.
Hoffmann, Ludwig Tieck, Ludwig Uhland, Friedrich de la Motte Fouqué, Achim von
Arnim und Clemens Brentano, war eher reaktionärer Natur, einerseits
gekennzeichnet durch die Hinwendung zum Katholizismus und durch die
Unterordnung unter Ganzheiten wie Kirche, Religion, Volk und Staat,
andererseits (besonders während dieser späten Phase) entwickelte sich auch die
sogenannte Schwarze Romantik, auch Schauerromantik genannt, wo die Schattensete
der menschlichen Psyche und das Unterbewusste zum Gegenstand literarischer
Forschung wurden. (Vgl. Bark et al. 1989: 182,183)
1.2
Romantik als
kritische Reaktion auf die Aufklärung
Romantik war in vielerlei Hinsicht eine kritische
Reaktion auf die Epoche der Aufklärung, das heißt auf die fortschrittsoptimistische
Epoche der Vernunft, des Strebens nach einem rational organisierten
Gesellschaftssystem. Es gab mehrere Ursachen einer solchen Kritik.
An der im Geiste der aufklärerischen Werte ausgelösten
Französischen Revolution beobachtete man das allmähliche Scheitern ihrer
Ideale. Die Französische Revolution, deren hohe Ideen von Gleichheit, Freiheit
und Brüderlichkeit sich aus den aufklärerischen Zielsetzungen etabliert hatten,
die jedoch bald in einen Kampf um Macht und Haben ausartete, bedeutete für die
Romantiker eine totale Niederlage des Zutrauens, wenn es sich um die Kraft der
Vernunft handelt. Der Missbrauch und die rücksichtslose Herrschaftsschicht, die
die vorige verschlungen und sich dann zu einer neuen entwickelt hatte,
überstanden diese Probe. „Die Enttäuschung … konzentrierte sich in der
Erfahrung, daβ die neue Epoche weder die allgemeine Gleichheit und Freiheit,
noch ein wahrhaftes Menschentum gebracht habe, sondern neue scharfe soziale
Gegensätze“ (Böttcher et al. 1973:
46). Die Romantiker konnten sich übrigens mit dem Übertritt vom Feudalismus zum
Kapitalismus nur schlecht abfinden.
Die Aufklärung ersah sich als Ziel die Welt der
rücksichtslosen Herrscher, der Tyrannei von Adligen und der institutionellen
Kirche, die Welt des Missbrauches und des Aberglaubens kraft einer
intellektuellen Erziehung zu verändern. Als Orientierungskompass gepriesen
wurde die Vernunft. „Das Schwärmerische Gefühlsmäßige, Mythisierende,
Andächtelnde, waren Bewuβtseinhaltungen, zu denen das klare Verstandesdenken der
Aufklärung … in Widerspruch stand“ (Böttcher et al. 1973: 47, 48). Der
aufklärerische Utilitarismus gab nur dem einen Wert, was sich nützlich erweisen
konnte – das das galt auch in Bezug auf die Literatur, welcher Zweck das
Belehren und eben die Erziehung war.
Rasche Entwicklung der Technik und Übergang zum
Kapitalismus sind weitere Prozesse, die mit der Aufklärung in Zusammenhang
gebracht werden müssen. Die positive
Beurteilung des technischen Fortschritts wurde zum ersten Mal schon in den
Schriften von J. J. Rousseau (1712-1778) in Zweifel gezogen. Der französische
Philosoph fragte seine Zeitgenossen nach dem Raum für einen einzelnen Menschen
in den neulich entstandenen strengen Strukturen, betonte die Zugehörigkeit des
Menschenwesens in die Natur und die Gefahren der Industrialisierung, die diesen
Zusammenhang ganz zerstören könnte. Die Rousseausche Philosophie bemächtigte
sich schnell der Literatur; sie fand ihren stärksten Widerhall in der
Sturm-und-Drang-Bewegung. In den Ländern, wo diese Periode nicht auftauchte,
pflegt man sie mit der Bezeichnung Prä- oder Vorromantik zu versehen. Die
Sturm-und-Drang-Autoren, wie Goethe oder Schiller griffen nach den Gefühlen,
betonten das Individuelle, verliehen dem Individuum also wieder das Recht zum
Existieren und vor allem setzten den Rousseuschen Gedanken im Bereich der
Naturvorstellungen fort – die Notwendigkeit der Rückkehr zur Natur. Ihre
politischen und gesellschaftlichen Ansichten gehörten aber noch dem Programm
der Aufklärung und der klassisch-idealistischen Philosophie. Das war
wahrscheinlich der Grund, warum, nachdem sie kurz die Literatur mit dem neuen
Gedankengut leidenschaftlich berauschten, dann aber irgendwie zurückschraken
und ganz bußfertig in den marmornen Schoß der harmonischen Antike, dieses Vorbild
der Aufklärer, wiederkehrten. Die Weimarer Klassik umfasste also all die
Autoren, die allzu sehr in der Vernunft geübt waren, um die loszuwerden. Die
aufkommende junge Generation der Romantiker wird solche Hemmungen nicht mehr
kennen.[6]
Es muss hervorgehoben werden, dass die Aufklärung der
neuen jungen Generation auch deswegen verhasst war, weil sie sich grundsätzlich
aus Negation der mittelalterlichen Bewusstseinshaltungen entwickelt hatte, in die sich die Romantiker
zurück zu flüchten versuchten. Novalis beispielsweise nannte das Mittelalter
„unschuldig“, während die Reformation und die Erfindung der mechanischen Uhr
die schwersten Sünden in der Menschheitsentwicklung für ihn bedeuteten, die die
bisher religiös einheitlichen Europäer geteilt und ihren naturgebundenen
Lebensrhythmus gestört hätten (Vgl. Schmitt 1993, 1: 161-182). Die Aufklärung
wiederum sah im Mittelalter nur „die dunkle Zeit“. Dies war für die Romantiker ein Grund für
eine heftige Polemik.
1.3
Kennzeichen und
Themenfelder der Romantik
Die wichtigsten Themen und Motive der Epoche waren unter
anderen: Sehnsucht, Liebe und Leidenschaft, das Individuum, Verherrlichung des
Mittelalters, Phantastik und Fabelwesen, Mystik, Nacht, Natur, Fernweh,
Wandermotiv, Spiegelmotiv, Inversion; auch Nationalgefühl.
„Der romantische Geist ist vielseitig, musikalisch, versuchend und
versucherisch, er liebt die Ferne der Zukunft und der Vergangenheit, die
Überraschungen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbewuβte, den Traum, den
Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflexion. Der romantische Geist bleibt sich nicht
gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich, sehnsüchtig und zynisch, ins
Unverständliche vernarrt und volkstümlich, ironisch und schwärmerisch,
selbstverliebt und gesellig, formbewuβt und formauflösend.“ (Safranski 2007:
13)
Das Wunderbare.
Man fand Vergnügen an allem, was geheimnisvoll, magisch,
sagenhaft war. Im Falle der Schauerromantik platzierten die Autoren Handlungen
ihrer Romane und Erzählungen an solchen, sich eines schlechten Rufes
erfreuenden Orten wie Friedhöfe, Ruinen einer verfallenen Burg, Walddickichten
oder gespenstische, im Schatten und Vollmondlicht versunkene Naturlandschaften.
„Die Lust am Geheimnisvollen und Wunderbaren … ist das Symptom eines
Mentalitätswandels, der den rationalistischen Geist zurückdrängt“ (Safranski
2007: 54).
Das Gefühl- und Geistvolle
Die romantische Poesie war auf die Innerlichkeit der
Gefühle gerichtet. Verspürt wurde die Sehnsucht, gesucht eine Erfüllung und
doch war man sich der Unerfüllbarkeit des Erwünschten bewusst[7].
Für viele ergab sich die christliche Kirche erneut als
das, was ein breites Spektrum der tiefgreifenden, geistigen Erlebnisse
ermöglicht, und zwar mit bunten, intrigierenden Bräuchen im Hintergrund dazu.[8]
Viele, mit Friedrich Schleiermacher beginnend, glaubten auf der Basis der
christlichen, eine neue Betrachtungsweise von Religion erschaffen zu haben –
eine ästhetische, poetische und frohe, die jedem Individuum, welches zu
phantasieren fähig war, die „Teilhabe am Göttlichen“ (Safranski 2007: 143)
ermöglichte. Die Unsterblichkeit laut Schleiermacher sei „mitten in der
Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick“
(Safranski 2007: 143). Die Poetik des Novalis charakterisierte Friedrich
Schlegel als „esoterisch“ (Ritzenhoff 2004: Klappentext [1988]) Die Verwendung
einer solchen Bezeichnung, die normalerweise nur für das religiöse Wortschatz
vorbehalten ist, zeugt von einer besonderen Vergeistigung der Poesie des
Autors.
„Progressive Universalpoesie“.
Abgelehnt und verneint wurden alle strengen Formen, die,
einst in der „geordneten“ Antike erdacht, von allen nachkommenden Epochen
wiedeholt wurden. Die Romantik brachte eine gewisse Revolution mit sich, wenn
es darum geht – nicht nur blieb man nicht mehr an die drei Aristotelischen
Einheiten gefesselt – man tat viel mehr, indem man in einem Werk mehrere
unterschiedliche Gattungen miteinander verschmelzen ließ. So finden sich in den
romantischen Romanen Prosa und Lyrik bei- oder sogar ineinander stehen, die
Dichtung begleiten philosophische, theologische und wissenschaftliche Inhalte,
es gibt da Märchen, Lieder, traumähnliche Visionen und praktische Überlegungen.
Die geliebte Form (oder Unform, je nachdem) neben den Romanen waren die
sogenannten Fragmente – ein vollendetes Werk, das unvollendet wirkt –
Vermutungen und Überlegungen erzeugt oder die Einbildungskraft anstrengt. Diese
Verschmelzung aller möglichen Formen trägt den Namen “progressive
Universalpoesie”[9]. Es
besteht die Frage, wozu die Verschmelzung dienen sollte. Wie gesagt – jede
Grenze musste zerrissen werden – auch diese, die die Literatur vom Leben
trennte. Der Vorgang, in dem diese Scheidung niedergerissen wird, bezeichneten
Friedrich Schlegel und der mystische Poet Novalis als „romantisieren“
(Safranski 2007: 58). „Jede Lebenstätigkeit soll sich mit poetischer
Bedeutsamkeit aufladen, soll eine eigentümliche Schönheit zur Anschauung
bringen und eine Gestaltungskraft offenbaren, die ebensogut ihren ‚Stil‘ hat
wie das Kunstprodukt im engeren Sinne. Überhaupt gilt ihnen [den Romantikern]
Kunst weniger als Produkt denn als Ereignis, das immer und überall stattfinden
kann, wo Menschen ihre Tätigkeit mit gestalterischer Energie und vitalem
Schwung verrichten. Novalis ist davon überzeugt, daß sich auch ‚Geschäftsarbeiten‘
poetisch behandeln lassen. Das Leben muß mit Poesie durchdrungen werden“
(Safranski 2007: 58-59).
Das „Gesamtkunstwerk“.
Wie es am Anfang des Kapitels angedeutet wurde, soll man
die Romantik nicht nur als eine literarische Epoche verstehen; sie äußerte sich
auch in der Malerei und in der Musik, dieser “Sprache jenseits der Sprache”.
Und, man muss das stark betonen, es war der Wunsch der Romantiker, diese drei
Dimensionen zu verbinden und damit eine neue, vollkommene, über alle möglichen
Ausdrucksmittel verfügende zu erreichen. Der Wunsch nach diesem
„Gesamtkunstwerk“ blieb nicht passiv geträumt, viele strebten wirklich danach.
Es gab Musiker, die zusätzlich zu schreiben versuchten und es gab Autoren, die
auch als Komponisten gelten. Dazu kommt noch der gewisse Sinn für Farben. Es
bediene als Beispiel einer der phantastischen Romanen von E. T. A. Hoffmann, in
dem es die Rede von einem Kleidungsstück in der Cis-Moll-Farbe ist (Vgl.
Straszewska 1969: 103). Auch war das Theater ein Ort, wo Worte, Bilder und
Klänge auf eine bis damals nie gekannte Art aufeinander trafen.
Viele Individuen unter einer Fahne und ihre Abneigung
gegen Begriffe.
Die Romantik und all das, was an ihr romantisch ist,
lässt sich nur schwer definieren. Erstens erschwert es die Tatsache, dass die
Romantiker jegliche Begrifflichkeit vermieden. Stattdessen wählten sie für ihre
Kritiken, Fragmente und theoretisch-philosophische Schriften eher eine
beschreibende, oft poetisierte Art und Weise der Auseinandersetzung. Zweitens
muss man Folgendes feststellen: Trotz allen Ideen und Themen, welche die
Romantiker miteinander verbanden, erwies sich der von ihnen gesehnte und
gesuchte Individualismus als ein Faktor, der sie voneinander stark
unterscheidet; von einer Verallgemeinerung gibt es deswegen keine Rede.
Die Proben, die Romantik als eine
philosophisch-literarische Strömung endgültig und zusammenfassend zu
definieren, bereiteten sogar den Menschen der Epoche große Schwierigkeiten:
Friedrich Schlegel soll einmal seinem Bruder geschrieben haben, dass er
„mit den Definitionen der Romantik 25 Seiten füllte“ (Straszewska 1969:
10). Maria Straszewska, die gegenwärtige Autorin wählt in einer den Studien
über die Epoche gewidmeten Arbeit die Worte von Paul Valéry zu dieser als ein
Motto: „Man müsste das Exaktheitsgefühl loswerden, um die Romantik zu
definieren.“ Ironischerweise kann das als ein weiteres Merkmal der Romantik
verstanden werden.
1.4
Philosophische
Inhalte in der „progressiven Universalpoesie“
Romantische Philosophie entwickelte sich aus kritischen
Auseinandersetzungen mit der klassisch-idealistischen Philosophie, geprägt vor
allem von Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Johann Gottlieb
Fichte. Zu ihrer Denkweise, und selbst zu Fichte, dem „Entdecker der
menschlichen Subjektivität“, (Böttcher et al. 1973: 41), stand jedoch der
romantische Kult einer schrankenlosen Individualität in starker Opposition.
Außerdem, wenn „Fichte das Sein auf das Tun zurückführte“, war die romantische
Philosophie „Apologie der Tatlosigkeit“ (Böttcher et al. 1973: 44).
Zu den wichtigsten Philosophen der Romantik gehören
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
und der Dichter Novalis.[10]
Ein besonderer Zug der romantischen Philosophie besteht in ihrer Verbindung mit
der Religion. So war es zum Beispiel Novalis` Absicht, Mystik und Philosophie
wieder zu versöhnen (Senckel 1983: 5).
Die Teilnahme der Schriftsteller und Poeten an
philosophischen Auseinandersetzungen war in der Romantik üblich. Die
“progressive Universalpoesie” zeigt sich dem Leser voll von philosophischen,
theologischen und ästhetischen Inhalten. Philosophen und Dichter waren auch
miteinander befreundet und deswegen, aus natürlichen Gründen, übten sie auch
aufeinander einen nicht geringen Einfluss aus. Schleiermacher beispielsweise
wagte seine neue Religion und andere Theorien der Welt zu verkünden, nur weil
er bei seinen Freunden Unterstützung und Einstimmung fand – während viele außer
diesem Kreis davon entsetzt waren (Safranski 2007: 148). Novalis entnahm dem
Theologen (und auch den übrigen Freunden) sehr viel, bereicherte es dann mit
eigenen Vorstellungen, verlieh all dem die Zauberkraft seines poetischen
Talents und schuf Werke, die sich dann nicht weniger prägend erwiesen.
“Nicht weniger” sollte in diesem Fall eigentlich
weggestrichen werden, denn es ist eben Novalis, dem die Romantik ihr Sinnbild
verdankt. Die mystische blaue Blume, aus seinem unvollendeten Roman “Heinrich
von Ofterdingen” ist als Symbol fürs Absolute, für die Erfüllung zu verstehen.
Seit der Veröffentlichung des Romans wurde die blaue Blume von allen
Romantikern eifrig gesucht.
1.5
Romantisches Erbe
in den nachkommenden Epochen
Es ist noch niemandem gelungen, endgültig zu bestimmen,
wann (wenn überhaupt) die Romantik als philosophisch-ästhetische Strömung zu
Ende ging. Denn das Romantische gleicht einem Phönix, der immer wieder
neugeboren wird und sich von der Asche erhebt, es taucht entweder in einzelnen
Menschenwesen oder ganzen Epochen auf, um nur Symbolismus, Impressionismus oder
etliche neo-romantische Strömungen als Beispiele zu nennen. Eine
aufschlussreiche Aussage, die das ständige Wechseln von Wiedergeburt und Absterben des Romantischen
zu erklären vermag, findet sich in einem Interview mit dem polnischen
Schriftsteller Witold Jabłoński, wo er seine Bemerkungen über den Zustand der
gegenwärtigen Prosa aus der Gattung der sogenannten Phantasy folgendermaßen
formuliert:
„Ungefähr in der Zeit nach dem Mauerfall in Berlin brach der Glaube an die
Errungenschaften des Fortschrittes zusammen und
es kam, meiner Meinung nach, eine total neue Epoche. Sie ähnelt ein bisschen
der Präromantik um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts, wo man an dem
Verstand auch zu zweifeln begann und das infolge der Enttäuschung nach der
Französischen Revolution. Die neue Generation wendete sich zum Irrationalen, zu
den alten Legenden und Mythen. Die aufgeklärten Kritiker konnten die
Erscheinung überhaupt nicht begreifen …, genau wie die heutigen Rezensenten,
erzogen im Geiste der realistischen und psychologischen Literatur und in den
formalen Experimenten, welche im 20. Jahrhundert in der Mode waren. … Meiner
Meinung nach schreiben wir jetzt etwas in der Gestalt gotischer Novellen, eine
neue Ära in der Literatur vorhersagend, eine irrationalere, märchenhaftere und
magischere. Mir scheint das übrigens ganz logisch, denn in der Geschichte der
europäischen Kultur existierte immer eine Flechtarbeit dieser Art. Nun kam die
Zeit für die nächste Neo-Romantik, für das neue Mittelalter…“
(http://www.esensja.pl/ksiazka/wywiady/tekst.html?id=1643&strona=2).
2. Romantische Vorstellungen vom Individuum in der Gesellschaft
2.1
Entwicklung der
Subjektivität in der frühromantischen Philosophie und Literatur
Die Romantik ist als die Epoche einer absoluten
Verherrlichung des Subjektivismus` und der Individualität zu verstehen
(Böttcher et al. 1973: 43). Die klassische Philosophie, insbesondere die von
Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), dem „Entdecker der menschlichen
Subjektivität (Böttcher et al. 1973: 42), erwies sich hierfür als eine günstige
philosophische Unterfütterung. Diese wurde von den Romantikern kritisch
bearbeitet und weiterentwickelt. In der Folge dieser Bearbeitung und
Entwicklung ist die romantische Philosophie in ihrer Wirklichkeitsauffassung
eigentlich Gegensatz der philosophischen Klassik geworden (Böttcher et al.
1973: 53).
Schon seit der Aufklärungszeit lässt sich ein vermehrtes
Interesse an dem Ich erkennen. Wichtige gesellschaftliche und ökonomische
Umbrüche führen zur Herausbildung einer neuen, bürgerlichen, Identität. Das
neue Ich, welches in der frühbürgerlichen Literatur, etwa bei Schiller oder
Goethe, fündig ist, „läβt sich bezeichnen als isoliertes, einsames Ich“ (Meding 1981:1). Gleichermaßen aber
erscheint dieses Leiden an der Einsamkeit als bewusste Entscheidung eines
Individuums, kein gewöhnliches und reflexionsloses, und demzufolge ein
sinnloses Leben zu führen (Vgl. Meding 1981: 2) Stark, wie noch nie zuvor,
schlägt sich die Kluft zwischen dem Ich und der Außenwelt. „Das Ich ist
gekennzeichnet durch den Willen zur Freiheit und zugleich durch das Bewuβtsein
von der Notwendigkeit der Gemeinschaft, der Zugehörigkeit zur menschlichen
Gesellschaft“ (Meding 1981: 3). Die Gesellschaft setzt der Freiheit Grenzen,
das Ich will über die Grenzen hinaus, und doch kann es ohne die Gesellschaft
nicht existieren. Philosophen und Schriftsteller sind bemüht, einen Ausweg aus
diesem Teufelskreis zu finden.
Immanuel Kant (1724-1804), der große Aufklärer, wollte
den Weg nach Freiheit durch das Wegräumen aller Sinnlichkeit, möglich machen
(Meding 1981: 8). Der Philosoph glaubte, der Mensch stehe im Konflikt mit der
Natur, weil er nicht mehr an ihr gebunden sei. Dies bedeutet, dass er „Herr
über die Natur in sich und außer sich“ sein sollte, und „als Vernunftwesen … selbst
Ursache seiner Handlungen“ (Meding 1981: 9). „Herr über die Natur in sich“ –
bedeutet so viel, wie die Fähigkeit zu besitzen, die Sinnlichkeit als
innerlichen Führer aus sich zu verbannen und anstelle dieser, allein die
Vernunft zu setzen. Nach Ansichten Kants sei nur derjenige ein freier Bürger,
wer ein von eigenem Pflichtgefühl getriebener, rastlos arbeitender Tatmensch
ist. Kant will keine Passivität leiden, das gilt sogar für Kunst und Kultur,
deren Rolle sei es, die Sittlichkeit zu verwirklichen (Meding 1981: 9-10).
Johann Gottlieb Fichte, Vertreter des deutschen
Idealismus, entwickelte das Kantische System weiter, sich jedoch von vielem
abgrenzend und vieles kritisierend. „Bezogen auf die Frage, was das Primäre
sei, Subjekt oder Objekt …, entschied Fichte sich gegen die Aufklärung und vor
allem gegen die aus ihr sich legitimierenden Dogmatiker für die subjektive
Seite. … Das Fichte`sche Ich ist insofern frei, als es sich selbst
reflektierend durchschaut und so Autonomie gewinnt, und zwar Autonomie in
Theorie und Praxis, im Denken und Handeln“
(Meding 1981: 13-14). Dadurch lässt
sich aber das Eine nicht ändern, nämlich die Einsamkeit des Ich – ganz im
Gegenteilt – sie wird noch in der Selbstreflexion vertieft (Meding 1981: 17).
Die Frühromantik stellte Folgendes fest: auch der freie
Mensch bedürft eines „Du“ (Meding 1981: 18). „In diesem Du, das kein
empirisches menschliches Gegenüber zu sein braucht, sondern auch das Andere im
Ich sein kann – nur mit diesem gemeinsam ist Vollendung überhaupt möglich, –
erweist sich die Freiheit“ (Meding 1981: 26). Zwar begrenzt die Freiheit des
Anderen unsere eigene Freiheit, doch man sollte sich trotzdem bemühen, das
eigene Ich mit der Welt zu versöhnen. Auf die Versöhnung des Widerspruchs kommt
es an. „Sich finden im anderen, also in der Liebe und in der Freundschaft – das
ist das romantische Konzept der Versöhnung von Ich und Welt, Freiheit und
Bindung“ (Meding 1981: 27).
Zur Versöhnung sollte auch zwischen Sinnlichkeit und
Vernunft kommen. Die Theoretiker der Frühromantik glaubten, dass die beiden
gleichwertige Erkenntnisqualitäten sind. „Novalis konstruiert die Idee – und
das ist die zentrale Wendung der Romantik –, daβ nur in einem Rollentausch von
Fühlen und Denken die freie Subjektivität gedacht werden könne“ (Meding 1981:
23).
2.2
Ein „Du“ für das
romantische Ich
Wie oben schon angedeutet wurde, stellten die Romantiker
die Notwendigkeit einer Bindung für das Ich fest, wenn es nicht an Einsamkeit
und Verzweiflung leiden soll.
Mit der Gesellschaft wird jedoch das romantische Ich nie
eine partnerschaftliche Beziehung aufbauen können, da es sich ihren allzu
vielen und strengen Gesetzen und Normen nie unterwerfen könnte. „Der Staat sei
nicht fähig, das Leiden abzuschaffen, die Sehnsucht nach Freiheit und Frieden
in der Gemeinschaft zu realisieren, denn wenn er mächtig sei, sei er auch
despotisch“ (Meding 1981: 32).
Der Staat und seine Gesellschaft, welche gewöhnlich allen
Freiheiten Grenzen setzen, wurden von dem rebellierenden, und deswegen auch oft
leidenden und verfremdeten romantischen Individuum als eine feindliche,
versklavende Macht empfunden (Vgl. Straszewska 1969: 62), die nicht imstande
sein kann, seine Bedürfnisse und Nöte zu begreifen.
Doch auch wenn es um die Frage nach der besseren Haltung
gegenüber der Gesellschaft geht, d.h. ob man sich so weit wie möglich
zurückziehen sollte, oder aber ein engagiertes Leben führen – auch hier war die
Romantik nicht einheitlich. Es gab unter den Vertretern der Epoche engagierte
Künstler, die die großen romantischen Ideale in der Welt durchsetzen wollten,
und es gab solche, die in der Kunst eher die Flucht vom Leben in der Welt
suchten (Straszewska 1969: 65). Die ersteren vertraten die Meinung, die Aufgabe
der Kunst besteht darin, sich in das gemeinsame Werk der Verbesserung der Welt
aktiv zu engagieren, statt auf die gegenwärtige Konflikte blind zu bleiben
(Straszewska 1969: 66). Für die letzteren hingegen, war es unmöglich, sich an
irgendeinem Imperativ der Pflicht zu halten. Die damals oft wiederholte Parole
„Kunst um der Kunst willen“ hing mit der Verneinung der gesellschaftlichen
Mission der Kunst zusammen (Straszewska 1969: 66.).
Eine für alle Romantiker gemeinsame Anschauung betraf
Unstimmigkeit mit jeglicher Form der Unterdrückung, sei es eine
gesellschaftliche oder eine politische. Dagegen waren sie besonders
empfindlich. Auch den menschlichen Egoismus wollten sie nicht leiden – dieser
wurde von ihnen als schwärzeste Pest verschrien. Ebenfalls heftig prangerten
sie den Kapitalismus und die verlogene spießbürgerliche Moral an (Straszewska
1969: 67).
Es erhebt sich die Frage, woanders ein
partnerschaftliches „Du“ für das Ich zu finden wäre, wenn dies im Staat und der
Gesellschaft nicht realisierbar ist.
Die eine Möglichkeit besteht in der Liebe, die andere
wäre Freundschaft. Wie es mit der romantischen Liebe war, darauf kommen wir
später; zuerst wird die einzigartige romantische Freudschaft besprochen werden,
die in der Künstlergemeinschaft mündete.
Wenn wir uns in die Lebensläufe der bedeutendsten
frühromantischen Theoretiker und Dichter vertiefen, bestimmt entgeht uns nicht
die Tatsache, dass sie alle um die Jahrhundertwende eng beieinander zusammen in
Jena wohnten, oder oft dorthin reisten, um sich dort für kürzere oder längere
Zeit aufzuhalten. Diese dichterische Bevölkerungsdichte war natürlich kein
Zufall. Es war geplant, möglichst nah beieinander zu sein.
Zuerst sollte Berlin zum Zentrum der neuen Bewegung
werden. Dort existierte schon die „Dachstube“ – das von Rahel Levin geführte
Salon, das als erstes die gesellschaftliche Lücke füllte und das „Bedürfnis
nach unzensierten, öffentlichen, also nicht geschriebenen Austausch von
Informationen, Meinungen und Ideen“ stillte (Meding 1981: 41). Fichte, Schlegel und Schleiermacher, Dorothea
Mendelssohn-Veit und Rahel Levin hatten sich zunächst vorgenommen, auch
Caroline Schlegel mit ihrer Tochter Auguste und Schelling nach Berlin zu
locken, und mit ihnen und Tieck zusammenzuziehen. Dieser Plan scheiterte
jedoch.
Nicht Berlin, sondern Jena wurde letzten Endes zum
Zentrum der Frühromantik und es waren eben die Berliner, die nach Jena
übersiedelten, „ebenso Tieck mit seiner Familie, und Novalis kam von Weißenfels
oft herüber. Das Haus war von Caroline Michaelis-Schlegel mit viel Geschmack
eingerichtet worden“ (Meding 1981: 95). Novalis sagte über dieses Jena:
„magische Atmosphäre, eine Geisterfamilie mitten unter Moosmenschen“ (Zit.
nach: Meding 1981: 104).
In der Tat erzielten die Romantiker mit dieser
Gemeinschaft mehr als bloße Befriedigung des Bedürfnisses nach menschlicher
Gesellschaft. Sie bedeutete mehr als gemeinsames Lernen, Vorlesen, Diskutieren;
mehr als gemeinsame, lustvolle Ausflüge und Treffen, frühmorgendliche
Picknicke, Kutschfahrten und regelmäßige Besuche der Gemäldegalerie in Dresden.
Diese Gemeinschaft ermöglichte ihnen eine „geistige Kooperation, sowie wache
und liebevolle Aufmerksamkeit füreinander, für das Geheimnis und die Wahrheit
im Anderen (Meding 1981: 79). Gerade wegen des krassen Individualismus gibt e
in der Frühromantik das Ziel der Überwindung der Schranken der Persönlichkeit.
Es entsteht die Theorie, daβ die ‚Künstlergemeinschaft‘, ebenso wie die
Freundschaft und die Liebe selbst neue Synthesen schaffe, selbst produktiv sei“
(Meding 1981: 89). Diese Produktivität bezieht sich u.a. auf das „Symphilosophieren“
– auf das gemeinsame Erarbeiten, auf den Vorgang, „sich einem Gegenstand von
den verschiedensten subjektiven Interessen aus zu nähern“ (Meding 1981: 94).
Die Künstler schienen den aufeinander geübten Einfluss zu genießen. Gerne
lieβen sie zu, etwas auf sich zu übertragen, sich ineinander zu vertiefen. Doch
zugleich sagt Schlegel: „Das Bewuβtsein der notwendigen Grenzen ist das
Unentbehrlichste und das Seltenste in der Freundschaft“ (Zit. nach: Meding
1981: 90). Daraus ergibt sich das Bemühen, „heftige und kontinuierliche
Kontroverse über zentrale Auffassungen“ zu pflegen (Meding 1981: 93).
Gebundenheit, Gemeinschaft, soll nicht in Gleichschaltung ausarten.
Die Gruppe löste sich nach der Jahrhundertwende. Vieles
trug dazu bei. Im Jahre 1800 war das „Athenäum“ nicht mehr lebensfähig, 1801
erschütterte die Freunde der frühe Tod von Novalis. Friedrich Schlegels
Hoffnungen auf eine Professur in Jena erwiesen sich als vergeblich. Dazu kam es
zu manch persönlichen Zwietracht. „Aber entscheidend waren sicherlich die
Krisenmomente, die durch die geschichtliche Entwicklung ausgelöst worden waren“
(Böttcher et al. 1973: 89).
2.3
Romantische
Subjektivität der Naturwahrnehmung
Die Naturvorstellungen sind ein wichtiger Bestandteil des
Romantischen. Schon die Betrachtung der Gemälde, welche die Epoche erzeugte,
weist, im Vergleich zu bisherigen Epochen, eine gewisse Veränderung auf, und
zwar nicht nur in der Darstellungsweise, aber auch, wenn es um die Wahl des
Gegenstandes, der Landschaft, geht.
Typisch für eine romantische Landschaft sind
geheimnisvolle Vollmondnächte und Dämmerungen, majestätische Berglandschaften,
inmitten einer verwüsteten, öden Gegend spuckende Burg- oder Kapellenruinen,
Friedhöfe, auf eine schauererregende Weise Kälte ausstrahlende Winter- und
Herbstlandschaften, Waldlichtungen und Wildnisse oder uferlose Meere. Kurz
gesagt, es wurde alles gemalt, was die Seele mit Sehnsucht erfüllen konnte.
Oder umgekehrt – das war auch ein Ausdruck der, die Seele des Künstlers
bewohnenden Sehnsucht.
Caspar
David Friedrich „Friedhofseingang“ und „Abtei im Eichwald“
Der bedeutendste Name für die bildende Kunst aus der Zeit
der Romantik ist der von Caspar David Friedrich. An seinen Werken sind die
wichtigsten Merkmale der romantischen Naturvorstellungen erkennbar und
überschaubar, deswegen wird auch sein Name für die Zwecke dieser Arbeit, die
sich grundsätzlich auf die von der Literatur getragenen Inhalte konzentriert,
angeführt. Diese Überschaubarkeit der wichtigsten Merkmale leitet vortrefflich
in die viel mühsamer zu entziffernden Textstellen der romantischen Literatur
ein, welche der Natur gewidmet worden sind. Man nehme als das zu untersuchende
Beispiel das 1818 entstandene Ölgemälde „Kreidefelsen auf Rügen“.
Caspar
David Friedrich „Kreidefelsen auf Rügen“
Das, was typisch für die Gemälde von Caspar David
Friedrich war, ist die Rückenansicht der Personen, die in eine wilde
Naturlandschaft hineinschauen. Manchmal sind die Landschaften schaurig,
gespenstisch, kaum für einen Menschen erreichbar, manchmal sind sie saftig
grün, jungfräulich und mild, doch nie scheint sie die Menschenhand gestaltet,
gekünstelt zu haben. Auch wenn auf diesem oder jenem Gemälde ein Gebäude zu
sehen ist, ist das am häufigsten eine verfallene Ruine, Überreste einer gotischen
Abtei oder ein vom Schnee bedeckter Friedhof, was eigentlich auf die (von den
Romantikern verherrlichte) Zeit des Mittelalters hinweist, wo die Menschen
enger mit der Natur verbunden waren. Auf dem Ölgemälde „Kreidefelsen auf Rügen“
sind drei Personen zu erkennen, alle in der Rückenansicht. So sollen wir uns
nicht auf die Menschen konzentrieren, sondern darauf, wohin sie hinblicken, wir
sollen in die dargestellte Landschaft hineinversetzt werden, um sie subjektiv
zu erleben. Wir sollen die unendliche Ferne auf uns wirken lassen, den Geruch
des Meeres, das Rauschen der Wellen, die salzige, erquickliche Briese samt
aller Wehmut, die das Unendliche doch weckt, in unserem Gemüt schließen, in
unserer eigenen Seele walten lassen. Die Aufgabe oder Vorrecht des Künstlers
bestehe darin, „in dem Beschauer Gedanken, Gefühle, Empfindungen zu erwecken“
(Zit. nach: Charpentier et al. 1993: 24), so der Maler selbst. Weitere Frage,
die man sich, die Werke Friedrichs anschauend, stellen muss, lautet: Wäre das
nur eine bloße Darstellung einer Landschaft, was man vor die Augen bekommt? Die Antwort erteilt der Künstler
selbst: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch,
was er in sich sieht“ (Charpentier et al. 1993: 24). Die dargestellte Natur
spricht also im Namen des Künstlers über seine Gefühle, über seine Sehnsüchte.
Als der lebende und der sprechende, der fühlende und der mitfühlende
Organismus, zu welchem die Natur eben in der Romantik erklärt wurde (Vgl.
Janion 1972: 252), ist sie dazu voll berechtigt.
Der romantischen Literatur ging es ebenso sehnsüchtig wie
der bildenden Kunst. Es existiert ein Begriff „Sehnsuchtslandschaften“. Der
Begriff lässt sich folgendermaßen erklären: es ging nicht darum, „die Natur an
sich“ darzustellen, sie war vielmehr „Anlaß für die Entrückung. ... Die
Natursituation wird zu einer psychischen Erfahrung für das Ich. Die Requisiten
dieser Landschaft sind nur Träger einer Stimmung“ (Schmitt 1993, 2: 24). Es
bestand auch eine andere Möglichkeit, sich dieser „Requisiten“ zu bedienen. Sie
konnten nämlich als eine „Chiffre für eine Seelenlage“ (Schmitt 1993, 2: 23)
benutzt werden. Eine umgekehrte Situation also, wo ein Meer beispielsweise,
eine schneeumwehte Straße oder das Sausen des Windes eine Illustration innerer
Stimmung des Ich sein konnten.
Deutlich ist es in den beiden Fällen schon genug, dass
das wichtigste Merkmal der Romantik, die Subjektivität, auch in den
Naturvorstellungen zum Vorschein kam. Dies äußerte sich auch in der Ansicht,
dass es zwischen einem Menschenwesen und seiner Umgebung zu gewissen
Interaktionen kommt – einerseits beeinflusst die Gesinnung des Menschen seine
Wahrnehmung der Natur (zum Beispiel, wenn er fröhlich gesinnt ist, zeigt sich
ihm alles schöner), oder die Natur kann einen Einfluss auf das menschliche
Gemüt ausüben. „Die Natur ... ist für unser Gemüt, was ein Körper für das Licht
ist. Er hält es zurück, er bricht es in eigentümliche Farben, er zündet auf
seiner Oberfläche oder in seinem Innern ein Licht an, das, wenn es seiner
Dunkelheit gleich kommt, ihn klar und durchsichtig macht, wenn es sie
überwiegt, von ihm ausgeht, um andere Körper zu erleuchtern“ (Novalis 1902:
153[1802]), so Novalis.
Man behauptete, einem Künstler steht es, die Natur ganz
subjektiv, so, wie er sie unter konkreten Umständen wahrnimmt, in seinen Werken
wiederzugeben. Dies erst galt als eine treue Wiedergabe, weil, den Ansichten
nach, war der Mensch und die Natur ein unzertrennliches Eins (Vgl. Schellings
Identitätsphilosophie), demnach nur solche subjektive Darstellung richtig war.
Ein weiteres Umfeld der romantischen Naturvorstellungen
war die Suche, oder eben die Sehnsucht, nach der verlorengegangenen Harmonie
zwischen Menschenwesen und (vergeistigte) Natur. In seinem Fragment „Die
Lehrlinge zu Sais“ nannte Novalis diese vergangene Zeit „das goldene Zeitalter“
und die, ihm gegenwärtige Menschheit bezeichnete er als „entartete und
verwilderte Reste“ des verlorengegangenen „Urvolkes“. Dieses „Urvolk“ wusste es
noch, im Einklang mit der Natur zu leben, selbst „ihre Aussprache war ein
wunderbarer Gesang, dessen unwiderstehliche Töne tief in das Innere jeder Natur
eindrangen und sie zerlegten“ (Novalis o. J.: 50 [1802]). Nun war man damit
beschäftigt, einen Weg nach einem neuen „goldenen Zeitalter“ zu finden. Das
ganze schon erwähnte Fragment von Novalis stellt die bedeutungsvolle „Frage
nach dem Zusammenhang von Naturerkenntnis und Selbsterkenntnis“ (Schmitt 1993,
2: 53). Vielleicht nicht die Antwort, doch eine Anweisung gibt der Autor schon,
und das passiert, merkwürdigerweise, nicht unter naturwissenschaftlichen
Erörterungen, aus denen das Werk fast ausschließlich besteht, sondern in einem
eingesetzten Kunstmärchen unter dem Titel „Hyacinth und Rosenblüte“. Aus diesem
Märchen ergibt sich folgende Schlussfolgerung: Höhere Selbsterkenntnis ist
vollkommene Naturerkenntnis. Solche Erkenntnis wäre jedoch eine
Wunschvorstellung, wenn man bedenkt, dass die Romantiker eine gewisse Antinomie
zwischen Natur und Kultur feststellten (Janion 1972: 245). Deswegen wurde die
Rousseausche Idee der Rückkehr zur Natur nicht mehr im regressiven Sinne
verstanden. Erst Schiller, dann seine romantischen Nachfolger sahen die Kluft,
die sich zwischen dem modernen Kulturmenschen und der Natur schlägt, deutlich
genug, um, statt nach einem Rückweg, nach einem neuen Weg zur Natur zu suchen
(Janion 1972: 261-262). Diesen neuen Weg fand der geistige Vorläufer der
Romantiker Schiller in der Kunst und in der ästhetischen Erziehung des
Menschen. Schiller glaubte, dass das, was die
Kultur, was die Kunst selbst vernichtet hatte, muss die Kunst wiedergutmachen. Die Kunst soll uns die mystische Union mit der Natur
wieder erlebbar machen. Diesen Gedanken setzten dann die Romantiker fort – laut
Novalis, „am hellsten ist in Gedichten der Naturgeist erschienen“ (Novalis o.
J.: 29).
Als ein weiteres Merkmal der romantischen
Naturvorstellungen soll der Kulturpluralismus genannt werden – die zum ersten
Mal durchaus positive Bewertung des Regionalen (Janion 1972: 280-281). Dieses
regionale Gefühl führe letzten Endes zu einer regionalen Einteilung der Kultur
– Madame de Staël, die wohlbekannte Autorin der kritisch-literarischen Texte
zur Zeit der Romantik führte die Begriffe von der Poesie des Südens und der des
Nordens ein. Die Werke der Engländer, Deutschen, Dänen und Schweden zählte sie
zur Literatur des Nordens (Janion 1972: 285). Dieser schrieb die Madame de
Staël solche Eigenschaften zu, wie die Neigung zur Philosophie und Melancholie,
Drang zur Unabhängigkeit, Leidenschaft, sowie die Gedanken über Tod und Sterben
und über Gespenster. Die Autorin war davon überzeugt, dass die Landschaft im
engen Zusammenhang mit dem seelischen Zustand des Menschen stehe (Janion 1972:
285-286). In der nördlichen Landschaft, mit der man gleich eher dunkle und
nasse Wälder, windige Heiden, uferlose Meere und kahle, kalte Berge assoziiert,
kommt die südliche Heiterkeit bestimmt nicht zustande. Für die Völker des
Nordens sei es charakteristisch, dass ihnen die Freuden des Lebens weniger als
Schmerzen bedeuten, woraus sich auch ergeben soll, dass ihre Einbildungskraft
fruchtbarer sei. Die düstere und finstere Natur, von der sie umgeben sind, soll
sich auf ihre Gemüter stark auswirken. Die Menschen im Norden seien demnach mit
Unruhe und Spannung erfüllt, innerlich gespaltet, aber auch, ihrer Umgebung
gleich, stolz, unabhängig und frei (Janion 1972: 287). Man soll das beachten,
dass es die Poesie des Nordens war, was den Idealen der Romantiker entsprach,
soweit es um die Naturvorstellungen ging. „Die Poesie des Nordens war eben die natura naturans [die werdende Natur, so
wie sie in der Tat ist – J.K.], während die des Südens die natura naturata [gegebene, „fertige“ Natur – J.K.]“ (Janion 1972:
289).
In zahlreichen Volksliedersammlungen und Märchen der
deutschen Romantik zeigt sich die Natur dem Leser zauberhaft und kraftvoll,
magisch, mystisch, lebendig, klug und vor allem schön. Sie kann dem Menschen
gegenüber entweder gut gesinnt sein oder etwas Dämonisches, Verführerisches an
sich haben.
2.4
Romantisches
Individuum und die Liebe
Die Liebe existierte in der Literatur seit immer und es
wird sie immer in der Literatur geben. Die Frage, die jetzt gestellt werden
muss, lautet: Was unterscheidet die romantische Liebe von der Liebe allgemein?
Um die Antwort darauf zu finden, muss man auf die
wichtigsten Merkmale der Romantik zurückkommen und diese dann in den Bereich
von Liebe übertragen. So wie sich zum Beispiel im 19. Jh. die Einstellung der
Menschen der Natur gegenüber änderte – wie man ihre Fülle und Schönheit
entdeckte – das spiegelte sich auch im Bevorzugen einer wilden, lebenden
Naturumgebung, am besten mit einer alten, mit Kletterpflanzen verwachsenen
Burg, als den perfekten Hintergrund für das Beisammensein der Liebenden wider.
Auch der Hang der Romantiker zum Wunderbaren kam in den Vorstellungen von Liebe
zum Ausdruck.
Wir hatten uns schon gesagt, dass die Subjektivität eins
der bedeutendsten Kennzeichen der Romantik war. In den Bereich der
Liebesvorstellungen übertragen, wurde sie auch zu einem der wichtigsten
Kennzeichen der romantischen Liebe. Wie man die Welt, die Umgebung, die Natur
und die Mitmenschen subjektiv wahrnimmt, mit den Augen des eigenen Ich
betrachtet, und nicht zuletzt das Gesamtbild durch diese subjektiven
Wahrnehmungen verändert, so muss das gleiche auch in Bezug auf die Geliebte,
bzw. den Geliebten geschehen. Es „gilt …
zu beachten, dass, obwohl man den anderen liebt und Liebe die Verbindung
zwischen zwei Menschen bezeichnet, Liebe nicht im geliebten Objekt ankert,
sondern im liebenden Subjekt“ (Augart 2005: 65), bemerkte die gegenwärtige
Forscherin Julia Augart, die den Briefwechsel von einem der bekanntesten Paare
der Romantik, Sophie Mereau und Clemens Brentano, analysierte. Auch der
Zeitgenosse von Brentano, Novalis, stellte in seinem Tagebuch Ähnliches fest.
Aus der Analyse der Bemerkungen des Dichters, die von Rüdiger Safranski, wieder
einem gegenwärtigem Literaturforscher, durchgeführt wurde, ergibt sich die
Schlüsselbedeutung der Einbildungskraft in der romantischen Liebesbeziehung.
Die Einbildungskraft, die der Dichter selbst „produktive Imagination“ nannte,
soll eine neue Wirklichkeit und zwar im doppelten Sinne aufbauen, interpretiert
Novalis` Worte Safranski. „Denn erstens beschwingt und steigert die
Einbildungskraft sein Lebensgefühl. … Zweitens aber wirkt die Einbildungskraft
nach außen wie ein Magnet. Sie zieht aus der anderen Person etwas hervor, das
wirklich in ihr steckt. Durch die Einbildungskraft verwandelt und steigert man
sich selbst und den anderen. ... In der romantischen Liebe zu Sophie [Sophie
von Kühn, die früh verstorbene Braut des Dichters – J.K.] gelingt Novalis diese
doppelte ‚qualitative Potenzierung‘, er potenziert sich selbst und die
Geliebte“ (Safranski 2007: 115).
Weitere Merkmale der romantischen Liebe sind das Aufheben
des „Dualismus von geistigem Gefühl und sinnlicher Begierde“ (Augart 2005: 64)
und eine „gewisse Exklusivität, in der alle anderen ausgeschlossen werden und
sich die Liebenden selbst genug sind“
(Augart 2005: 63).
Nicht zu unterschätzen ist auch die Leidenschaft in den
Liebesbeziehungen, der man in der romantischen Literatur überall fündig wird.
Die Leidenschaft ist in den Texten der Romantik als eine kräftige und
hinreißende Macht dargestellt, aber auch dem Namen gemäß – Leidenschaft heißt sie doch – taucht sie oft als ein vernichtendes,
zerschmetterndes Gefühl, eine Qual, auf. Nicht selten wurde die Leidenschaft
auch als eine Kombination der beiden – glücklichen und unseligen Empfindungen
betrachtet.
Die spießbürgerliche Moral abgelehnt, erhoben die
Romantiker das Prinzip, dem eigenen Herzen zu folgen, zum Rang des höchsten
moralischen Rechts. Dies berechtigte sie zum Widerstand gegen jegliche
Konventionen und Anstände und erwies sich vor allem, wenn es um die Liebe geht,
als bahnbrechend (Straszewska 1969: 123). Die gesellschaftliche Akzeptanz einer
Beziehung zählte nicht mehr, denn das Wichtigste sollte eben die Liebe sein,
die Übereinstimmung der Gemüter, der Bund zweier Herzen. Damit ist der Versuch
der Romantiker, die freie Liebe durchzusetzen, zu erklären – „die Prosa des Lebens,
das bürgerliche Ideal des familiären Glücks, werden sie als tödlich für die
Poesie der Liebe beurteilen“ (Straszewska 1969: 123).
Eine wichtige Nebenwirkung dieser Anschauungen war einer
der ersten Schritte von Frauenemanzipation, der damals gemacht worden war. Es
wurde Widerstand gegen versklavende gesellschaftliche Anstände, die die Frau
fesselten, geleistet. So wurde die Frau zum ersten Mal in so großem Maße zum
Freund des Mannes (Straszewska 1969: 125). Das trug zusätzlich zur Entstehung
einer neuen Form von Partnerschaft bei – zwei Individuen, zwei Liebende, die
sonst von niemandem verstanden zu sein glaubten, oder der Gesellschaft müde
waren, grenzten sich von dieser ab, um ihre Zweisamkeit zu genießen.
2.5
Exzentrisch und
individuell
Die Vorliebe für alles Individuelle beeinflusste nicht
nur die innere Welt der Romantiker – in vielen Fällen wirkte sie von innen nach
außen hin, das Verhalten oder sogar das Aussehen mitbestimmend. Das konnte den
Menschen der Epoche natürlich nicht entgehen. Das Interesse galt vorzüglich
Denjenigen, die sich über das Gewöhnliche erhoben. Je künstlerischer war die
Ausstrahlung des Künstlers, je krankhafter der Zustand des Wahnsinnigen, je
einzelgängerisch der Einzelgänger – desto größer war das Interesse an ihm.
Damit lässt sich auch erklären, warum das Äußere und das Betragen der Künstler
damals so sehr Aufmerksamkeit der Menschen erregte. So zum Beispiel wurden
Diejenigen, die den jungen Novalis persönlich kannten, von seiner Ausstrahlung
hypnotisiert, verzaubert. Friedrich Schlegel beschrieb Novalis` Augen – „die
Augen eines Geistersehers, die farblos geradeaus leuchten“ (Zit. nach:
Safranski 2007: 110). Auch die
dämonische Erscheinung vom virtuosen Geigenspieler Nicolò Paganini verursachte,
dass der Musiker zu einer lebenden Legende wurde (Straszewska 1969: 198).
„Zeitung für die elegante Welt“ aus dem Jahre 1829 hegte gegen den Virtuosen
einen äußerst merkwürdigen Verdacht: „Jedermann errät es jetzt, und hätte es
längst merken können, dass Paganini und der Satan in der engsten Beziehung
stehen, wenn einer nicht sogar mit dem andern identisch ist.“ [11]
Diese Worte konnten dem Musiker im Großen und Ganzen nur schmeicheln. Die
Menschen der Epoche strebten danach, unvergleichbar zu sein. Wenn man sich das angestrebte Menschenbild
genau ansehen würde, so fände man die Romantiker originell, rebellisch und
extravagant. Dies äußerte sich in ihrem unbefangenen Lebensstil, im Verstoß
gegen die bürgerlichen Anstände und gegen die gesellschaftliche Etikette. Viele
trugen langes Haar, viele narkotisierten sich mit Tabak (Straszewska 1969:
120); die Künstler und die Empfänger ihrer Erzeugnisse genossen allerlei
kontroverse Themen (Straszewska 1969: 57).
Legendäre
romantische Persönlichkeiten: Novalis und N. Paganini
Das alles hatte natürlich weitgehende Konsequenzen für
das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Das Originelle rebellierte
gegen all dem, was seine Originalität hindern und beschränken könnte; das
Originelle wollte sich frei entwickeln (Straszewska 1969: 59).
„Das Verhalten der Gruppe [der Jenaer Gruppe – J.K.] nach
außen – als abstrakte Gegenübersetzung entsprach letztlich jenem Miβtrauen, das
man ihnen gegenüber zeigte. Sie gebärdeten sich defensiv arrogant und manchmal
subtil bösartig“ (Meding 1981: 106).
In romantischen Werken kommen wir auf zahlreiche
Beispiele einer bewussten Abgrenzung der Helden von der Gesellschaft. Die
gesuchte Selbsterkenntnis, das In-sich-Schauen war am besten in der Einsamkeit
(nicht Vereinsamung!), auf dem Schoße der Natur, zu vollführen.
„Waldeinsamkeit, / die mich erfreut, / so morgen wie heut / in ew`ger Zeit, / O
wie mich freut / Waldeinsamkeit“ (Schmitt 1993, 2: 39) – wird es in einer
Erzählung von Ludwig Tieck gesungen und es könnte wohl als Hymne der deutschen
Romantik gelten, eine Hymne des romantischen Individuums, das sich so gerne,
von wilder Natur umgeben und vielleicht unter seinen Seelenbrüdern, von der
Gesellschaft fern hielt.
3. Mystizismus ohne Weltentrückung:
zur Novalis` Biographie
Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg wurde am
2. Mai 1772 auf dem Gut Oberwiederstedt geboren. Als er starb, was am 25. März
1801 in Weißenfels geschah, war er noch nicht voll 29 Jahre alt. Diejenigen,
die sich von seinem gerade aufblühenden literarischen Talent viel versprochen
hatten, erschütterte dieser Verlust aufs Tiefste.[12]
Viele seine Werke blieben nämlich unvollendet; viele Ideen, die philosophischen
und schriftstellerischen Vorhaben, von welchen der Dichter seinen Freunden
erzählt hatte, gesellten sich ihm auf ewig in der stillen Gruft. Trotzdem zählt
der Jungverstorbene zu den wichtigsten Theoretikern und Dichtern seiner Epoche
und das Wenige, was er nachgelassen hat, erwies sich im großen Maße
richtungsbildend für die deutsche Frühromantik; die Individualität des Novalis
selbst als prägender Impulsgeber (Böttcher et al. 1973: 138).
Wie stark diese Wirkung auf die Um- und Nachwelt war,
veranschaulicht uns vielleicht die Tatsache, dass noch 30 Jahre nach dem Tod
des Dichters, während einer Predigt, der große Theologe Friedrich
Schleiermacher eine Strophe von Novalis zitierte.[13]
Und er sollte es unter strömenden Tränen und mit bebender Stimme getan haben,
berichtet Sophie von Hardenberg, die Tochter des jüngsten Bruders von Novalis
in der von ihr verfassten Biographie des Dichters (Hardenberg 2010: 280-281
[1873]). 111 Jahre nach Novalis‘ Tod wiederum, erklärte ihn Rudolf Steiner
während einer Matinee am Tag nach der Begründung der Anthroposophischen
Gesellschaft[14] als den
Wegbereiter und Vorläufer der Geisteswissenschaft: „Wenn wir in solcher Art die
Herzensklänge hören unseres lieben Novalis, durch die er so innig zu künden
wusste von der Sendung des Christus, fühlen wir etwas von Rechtfertigung für
unsere Geistesströmung“ (Zit. nach.: Prokofieff 1987: 168). An einer anderen Stelle
drückt sich Steiner noch entschiedener aus: Novalis „war einer der Propheten“
(Zit. nach.: Prokofieff 1987: 169). Es erhebt sich die Frage, was war das
Besondere an diesem frühverstorbenen Menschen, so dass sein kurzes Leben und
sein knappes Werk die Anderen so stark bewegen konnte.
Von entscheidender Bedeutung für sein ganzes Leben
sollten die Verhältnisse in seinem Elternhause sein, wo ihn einerseits viel
Wärme und Liebe der Mutter, Auguste Bernhardine, geborene Bölzig, umgab,
andererseits jedoch musste er die ständige Unzufriedenheit seines Vaters,
Erasmus von Hardenberg, ertragen. Der
Grund für diese Unzufriedenheit lag darin, dass Friedrich dem Vater zu weltlich
erschien, während für den letzteren der Glaube an Christus am wichtigsten war
(Hardenberg 2010: 52). Im Grunde genommen irrte der Vater: ähnlich wie ihm
bedeutete Christus seinem Sohn Alles, auch wenn er einen völlig anderen Weg zu
ihm ging (Hardenberg 2010: 290). Der Vater, dem nach einer fünfjährigen,
glücklichen Ehe seine geliebte erste Frau gestorben war, und der diesen Verlust
als Strafe von Oben interpretiert hatte, wollte seine Kinder aus der zweiten
Ehe in der pietistischen Sittenstrenge und einer asketischen Abgrenzung von
Menschen erziehen (Hardenberg 2010: 35-39). Friedrich jedoch brauchte mehr
Freiheit, die zu derjenigen hätte passen können, die ihm angeboren war.
Religiöse Fragen blieben Tabu sogar am Friedrichs Sterbebett . Es musste für
Erasmus ein Schock gewesen sein, als er, in der Herrnhuter Gemeinde – kurz nach
Friedrichs Tod – gerührt ein Lied mitgesungen und beim Hinausgehen aus der
Kirche nach dessen Autor gefragt hatte; als er damals erfuhr, dass sein eigener
Sohn es geschrieben hatte (Hardenberg 2010: 290)…
Sophie von Hardenberg betont, wie ähnlich – wenn man die
religiöse Spannung beiseitelegt – der Sohn seinem Vater war und führt Friedrichs eigene Worte über seinen
Vater an, die zugleich seine eigene Charakteristik sind: [der Vater] „brachte
uns durch Beispiele und Reden eine Verachtung des äußeren Glanzes bei. Er
ermahnte uns zum Fleiß, zur Genügsamkeit, und äußerte seine Freude, wenn wir
unseren Herzen folgten, ohne Rücksicht auf die Meinung der Welt zu nehmen. Er
pries uns das Glück einer stillen, häuslichen Lage und bat uns oft, nie aus
Rücksichten des Interesses und der Ambitionen zu handeln und zu wählen“ (Zit.
nach: Hardenberg 2010: 258).
Es zeigte sich sehr früh, dass die Gründung einer eigenen
Familie zu dem größten Wunsch des Dichters wurde; das familiäre Glück zum
Hauptziel. Schon als 21 Jahre junger Mann schreibt er in einem Brief an seine
Mutter: „O ich fühle sie ganz, die Süßigkeit des Berufs, Stütze einer Familie
zu sein“ (Zit. nach: Hardenberg 2010:
77). Um dieses Ziel realisieren zu können, musste er sich eine sichere
Lebenslage erschaffen. Zunächst, nach Ablegung des juristischen Staatsexamens
in Wittenberg (14. Juni 1794), arbeitete er als Aktuarius beim Tennstedter
Kreisamt, dann als Akzessist bei der kursächsischen Salinenverwaltung in
Weißenfels, wo er nach den Studien an der Bergakademie in Freiberg zum
Salinenassessor avancierte. Kurz vor dem Tod wurde er zum Amtshauptmann im
Thüringischen Kreis ernannt. In jeder Arbeit fand er sich mit großer
Leichtigkeit zurecht und wurde als tüchtiger und pflichttreuer Beamter
gepriesen (Dohmke 1902: 4).
Seine Dichterträume bildeten nie eine Opposition zu
seinem praktischen Verstand, denn Novalis war ein Mensch, in dem alle
Gegensetze aufgehoben, oder – an seine eigene Terminologie anknüpfend –
„versöhnt“ waren. „Die Wissenschaften müssen alle poetisirt werden“, schreibt
er in einem Brief an Friedrich Schlegel (Hardenberg 2010: 196). Im vorigen
Kapitel war schon über Novalis‘ Überzeugung die Rede, dass „sich auch
‚Geschäftsarbeiten‘ poetisch behandeln lassen“
(Safranski 2007: 59). Friedrich Hardenberg als Dichter litt nicht an der
Prosa des Alltags eines Beamten, weil er sich diese Prosa zu „poetsiren“ wusste. Und obwohl Philosophie sein
Lieblingsstudium war[15],
machte er sich – besonders während der Studienzeit in Freiberg – mit dem
Erkenntnisstand von Mineralogie, Geologie, Chemie, Physik und Medizin vertraut,
er interessierte sich auch für Meteorologie und studierte die Fabrikation des Sonnensalzes
(Lutz, Jeβing 2004: 585).
Man muss sich vom Denken in den Kategorien der Gegensetze
befreien, um Novalis richtig verstehen zu können. Man bedenke nur, dass
derselbe Mensch, der über die Erfindung und den verbreiteten Einsatz von
mechanischen Uhren als über eine Pest schreibt, weil sie unseren natürlichen
Lebensrhythmus zerstört hätten, derselbe Mensch widmet sich – um nur einige
Beispiele zu nennen – der Arbeit an Apparaten zur Wolkenerzeugung; er
propagierte Doppelfenster; man verdankt ihm auch gedankliche Vorwegnahme von
Prinzipien der Photographie (Hardenberg 2010: 20). Man mache sich weiter
bewusst, der Protestant Novalis äußerte sich sehr negativ über die Spaltung des
Christentums, über protestantische Bewegung also, und vertiefte sich in Jakob
Böhmes Werke! Als gläubiger Christ sprach er von der Notwendigkeit des
Erarbeitens eines neuen Evangeliums und nannte eine absolute religiöse Freiheit
als die Rahmenbedingung für das künftige Christentum (Prokofieff 1987: 114).
Novalis kannte keine Widersprüche, er war von ihnen
völlig frei. Rousseau und die Sturm-und-Drang-Periode, die zum Rückkehr zur
Natur gerufen hatten, vertieften sich noch in peinlichste Not, auf jedem
Schritt von Gegensetzen geplagt, denn damals ging es um eine Rückkehr im
regressiven Sinne, was, wie Schiller wenig später bemerkt hatte, nichts als
eine utopische Vorstellung, ein unmöglicher Traum war. Novalis dagegen denkt
zukunftsorientiert. Als Dichter, Mystiker und Wissenschaftler glaubt er an
„Verbundensein aller Dinge“ (Hardenberg 2010: 28) und daran, dass es zwischen
dem Physischen und Metaphysischen keine Grenze gäbe (Hardenberg 2010: 27); er
ist davon überzeugt, dass die Menschheit, die einmal ihren Geist auf den
Verstand gewechselt hatte, nach einem neuen goldenen Zeitalter streben sollte,
in dem sich der Verstand mit dem Geist versöhnt und ein Jeder ein bewusstes und
zugleich geistiges Leben führen wird – ein volles Leben. Das, während der Zeit
in Freiberg gewählte Pseudonym „Novalis“ (lateinisch „neues, brachliegendes
Land“) bezieht sich auf dieses philosophisch-kulturelle Erneuerungsprogramm
(Lutz, Jeβing 2004: 558).
Die Philosophie des Novalis ist in vielerlei Hinsicht
einmalig. Erstens wohnt sie seinen literarischen Werken inne: wir begegnen ihr
in seinen Gedichten, Fragmenten, Briefen, Märchen und in dem einzigen,
unvollendeten Roman; Novalis verzichtet auch auf die schwer zu entziffernden
Begriffe und Definitionen und wählt – sogar für Auseinandersetzungen mit Fichte
oder Kant – entweder die Alltagssprache oder die gehobene, schön stilisierte
Sprache der Literatur. Das Besondere besteht jedoch vor allem darin, dass der
Dichter seine Philosophie unmittelbar aus seinem Leben zieht. Man könnte ihn
mit einem Aufgeklärteren vergleichen, dem sich der Sinn des Lebens und Weltalls
von selber offenbart hatte und der sich dann nur darum bemühte, das wirklich
Erlebte zu beschreiben. Tatsächlich gab es im Novalis‘ Leben Momente, wo etwas
in der Art von Offenbarung, Verklärung, möglich gewesen sein konnte.
Zunächst schien der kleine Friedrich von Hardenberg nicht
besonders begabt zu sein. Er war ein kränkelndes Kind, das nicht lernen konnte
und wollte – in diesem Punkt blieb er weit hinter seinen Geschwistern stehen
(Hardenberg 2010: 48). Als er neun Jahre alt geworden war, erkrankte er an der
Ruhr. Mehrere Monate blieb er ans Bett gefesselt. Als er aber wieder gesund
wurde, war er schon (ganz unerwartet) ein physisch und geistig völlig
verändertes Kind. Er fing zu lernen an und bald überholte er darin seine
Schwester Caroline und den Bruder Erasmus (Hardenberg 2010: 48).
Am 17. November 1794 begegnet er zum ersten Mal Sophie
von Kühn (die damals ein erst 12-jähriges Mädchen war). Im Frühling des
darauffolgenden Jahres wird die Verlobung abgesprochen (Hardenberg 2010: 138).
Friedrich war in sie über Alles verliebt. Viele wunderten sich darüber, denn
Sophie war doch noch ein Kind, ein Kind von zarter Gesundheit dazu, das in
mancher Hinsicht in der äußeren Entwicklung sogar zurückgeblieben war,
geschweige denn an Novalis‘ geistigen und intellektuellen Interessen
teilzunehmen (Prokofieff 1987: 204). Dem Dichter selbst blieb diese Neigung für
das junge, kränkelnde Mädchen ein Rätsel (Prokofieff 1987: 205); einmal
notierte er in seinem Tagebuch: „Ich habe zu Söphen Religion, nicht Liebe“
(Zit. nach: Prokofieff 1987: 206). Sergej Prokofieff, der in seinem Buch Rudolf
Steiners Vorträge über Novalis anführte und kommentierte, versuchte auf
anthroposophische Weise dieses Rätsel zu lösen und kam zu folgenden
Schlussfolgerungen: „Sie war [infolge ihrer Kränklichkeit und ungenügender
Individualisierung, d.h. durch eine gewisse Zurückgebliebenheit in der
Entwicklung des eigenen Astralleibs – J.K.] für ihn eine Art Tor in die höhere
Welt, ein Anlaβ, der seinen inneren Blick auf die jenseitige Sphäre lenkte. …
sie scheint ihm zuermöglichen … in die geistige Welt zu schauen“ (Prokofieff
1987: 207). Mit anderen Worten: Durch ein zartes Mädchen namens Sophie gelingt
Novalis zur göttlichen Sophia.
Am 19. März 1797 im Alter von fünfzehn Jahren, nach
langwieriger, schmerzvoller Leberkrankheit stirbt die geliebte Braut. Novalis
ist so erschüttert, dass er zunächst den Entschluss fasst, ihr nachzusterben
(Hardenberg 2010: 161). Er verbringt viel Zeit an ihrem Grab. Gerade eben dort
wird er aber zum Mystiker und einem verklärten Dichter. „Hymnen an die Nacht“
die damals entstanden sind, können als Dokumente betrachtet werden, welche die
geistige Verwandlung von Novalis bezeugen; sie beschreiben ein gewisses
Hinaufsteigen auf eine höhere Stufe: Einsamkeit und Furcht werden durch
geistige Kraft besiegt und dann kommt es zur Befreiung von den Fesseln des
physischen Leibes (Prokofieff 1987: 47).
Novalis besiegt die Todessehnsucht und wendet sich erneut
dem Leben zu. Er widmet sich der Philosophie und dem Schreiben, arbeitet und
plant seine Zukunft, verlobt sich zum zweiten Mal (mit Julie von Charpentier),
strebt mit verdoppelter Kraft nach seinem alten Ziel, dem häuslichen Glück
(Hardenberg 2010: 77, 241).
Eigene Krankheit und plötzlicher Tod des jüngeren Bruders
machen aber dem Streben ein frühzeitiges Ende. Die Nachricht über den Tod des
14-jährigen Knaben verursachte einen heftigen Blutsturz (Hardenberg 2010: 285).
Von dem Zeitpunkt an gab es keine Hoffnungen für eine Genesung. Nur der Dichter
selbst schien noch daran zu glauben (Hardenberg 2010: 288). Man hat ihn ins
Vaterhaus zurückgebracht (Hardenberg 2010: 288). Im Frühjahr 1801 verbesserte
sich sein Zustand ein wenig. Er widmete sich geschichtlichen Studien, las viel
in der Bibel und erzählte seinen Freuden von seinen schriftstellerischen
Vorhaben (Hardenberg 2010: 289). Am 24. März soll er Friedrich Schlegel gesagt
haben: „Vieles habe ich erst jetzt im rechten Lichte gesehen, und wenn ich
wieder gesund bin, dann will ich recht erst schaffen!“ (Zit. nach: Hardenberg
2010: 289). Auch am darauffolgenden Tag war Friedrich Schlegel am Bett seines
Freundes anwesend (Hardenberg 2010: 289). Da bat Novalis seinen Bruder Karl,
ihm auf dem Klavier vorzuspielen. Bei diesen ihm lieben Klängen, in der
Anwesenheit des Freundes und des Bruders, einschlummerte der Dichter sanft und
still und ohne Schmerzen (Hardenberg 2010: 289). Auf ewig schlossen sich seine
Augen, „die Augen eines Geistersehers“[16].
Novalis lebte nicht in der Hoffnung, dass er erst einmal
– im Jenseits – eine blaue Blume finden wird. Er fand sie schon zu Lebzeiten
und versuchte es auch Anderen zu verdeutlichen, dass die blaue Blume – die
Erkenntnis des Höheren – auch für sie auf Erden erreichbar sein könnte.
Imagination, Intuition und Inspiration (Prokofieff 1987: 70), und weiter
Verwunderung, Kindlichkeit und die alles durchströmende Liebe können uns – wie
ihn – nach diesem Ziel führen.
Allerdings müssen wir uns auf diesem Weg vor einigen
Gefahren schützen, denen mancher romantische Novalis‘ Nachfolger zur Opfer
gefallen ist. Vor allem wird hier die Depression gemeint, zu der es kommen
kann, wenn es Einem unmöglich ist, sein Leben von idealisierter Vorstellung,
einer Traumvorstellung davon zu unterscheiden. In solchem Fall kann es
passieren, dass der Mensch in den dazwischenliegenden Abgrund hinfällt. Nicht
in einer Traumwelt sollten wir leben, sondern in der realen, die wir uns aber
„poetisiren“ können. „Nur hüte Dich vor allgemeiner Unzufriedenheit“ – ermahnte
der Dichter seinen geliebten Bruder Erasmus (Zit. nach: Hardenberg 2010: 80).
Die andere Gefahr, vor der uns Novalis warnt ist das, was er „kranke Phantasie“
nennt. Die Fähigkeit zum Phantasieren ist in seinem philosophisch-theologischen
System eine der Rahmenbedingungen für das Hinaufsteigen auf höhere
Erkenntnisstufe. Dabei müssen wir jedoch Folgendes beachten: „nur die Harmonie
unserer Kräfte, die nur durch sie [reine Willenskraft] möglich ist, macht uns
zu wahren Menschen, zu echten Wesen in der Reihe der Dinge und dem wunderbaren
Zusammenhang der moralischen und physischen Welt. Wo kranke Phantasie, da ist
auch kranke Empfindung und kranker Verstand“ (Zit. nach: Hardenberg 2010: 74).
Novalis empfiehlt uns auch Ruhe und eine gewisse Gelassenheit. Er selbst, als
sensibler, gefühlvoller Mensch musste mit einer Neigung zum feurigen
Enthusiasmus gekämpft haben, die seinen schwächlichen Körper hätte noch
schwächer machen können. Seine erste Liebeskummer verursachte beinahe, dass er
– sich selbst zu disziplinieren, sich abzukühlen versuchend – um ein Haar zum
Soldaten wurde. Er zählte die verschiedenen Vorteile des Soldatenstandes auf:
„Mein Sinn wird Charakter, meine Erkenntnisse werden Grundsätze, meine
Phantasie wird Empfindung, meine Leidenschaftlichkeit wohltätige Wärme, meine
Ahnungen werden Wahrheit, meine Einfalt, Einfachheit, meine Anlage wird
Verstand, meine Ideen wurden Vernunft. … Mein Geist und seine Bildung ist
ohnedem mein heiligster Zweck“ (Zit.
nach: Hardenberg 2010: 66-67). Daraus lässt sich folgern, dass wir unsere
sterblichen Hüllen gar nicht zu überfordern brauchen, um in der Welt des
Geistes schweben zu können (was natürlich einer popularisierten Meinung über
die romantische Lebensart widerspricht). Auch darf die Philosophie des Novalis
nicht als ein fertiges „Produkt“ für Alle verstanden werden. Vielmehr soll sie
für Jedermann eine Einladung auf die
Reise in das eigene Ich bedeuten; das Sich-Selbst-Erlernen. „Um dies zu
erfahren kann ich Dir nichts Besseres empfehlen, als sorgfältige Untersuchung,
was du wirklich bist. Ungeduldig mußt Du freilich hierbei nicht sein; denn
selbst dieser langsame Gang unserer Bildung und Entwicklung ist Natur“ (Zit.
nach: Hardenberg 2010: 73). Als allerletzte Bemerkung führen wir die Worte des
Dichters an, die wiederum dem popularisierten Zerrbild des romantischen
Gedankenguts dagegen sprechen: „Das nil admirari des Horaz und zwäckmäßige,
anhaltende Beschäftigung sind große Hilfsmittel, seinen Charakter fest und
seine Ruhe, Unbefangenheit und gute Laune dauerhaft zu machen“ (Zit. nach: Hardenberg 2010: 74).
4. Zur Entstehungsgeschichte des Romans „Heinrich von Ofterdingen“ von Novalis
Novalis arbeitete an seinem Roman „Heinrich von
Ofterdingen“ von Dezember 1799 bis Oktober 1800 (Ritzenhof 2004: 137). Im
Sommer 1799 in Artern machte sich der Dichter mit der Ofterdingen-Sage bekannt,
die ihn sehr inspiriert hatte. Sein „Heinrich von Ofterdingen“ ist aber nicht
bloße Verarbeitung dieses Stoffes. „Das ganze sollte eine Apotheose der Poesie
seyn“ (Zit. nach: Thomas Roberg in: Lutz, Jeβing 2004: 585), sowie ein Anlass
für eine Darstellung der philosophischen, theologischen und wissenschaftlichen
Ansichten des Autors. Gewissermaßen diente der Roman auch als ein Werkzeug des
Dichters für eine literarisch-philosophische Auseinandersetzung mit Goethes
Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795-96). Zunächst weckte im Novalis das
Werk volle Begeisterung. Bald aber wich die Hochschätzung einer ablehnenden
Kritik. Hardenberg nannte dieses umfangreiche Werk Goethes „durchaus prosaisch“
(Lutz, Jeβing 2004: 585). Goethe soll dort „blos von gewöhnlichen menschlichen
Dingen“ handeln – „die Natur und der Mystizism sind ganz vergessen“ (Lutz,
Jeβing 2004: 585).
Novalis beabsichtigte, nach der Vollendung des „Ofterdingen“
noch sechs große Romane zu schreiben, in denen er seine Meinungen über Physik,
Geschichte, Politik und Liebe, sowie über das bürgerliche Leben und die
Handlung niederlegen wollte (Tieck in Novalis 1902: 214). Dies, wie auch die
Vollendung des ersten Romans, war ihm nicht gegeben. Als Novalis im Frühjahr
1801 starb, war nur der erste Teil des „Ofterdingen“ – „Die Erwartung“ fertig,
sowie ein Anfang des ersten Kapitels vom zweiten Teil – „Die Erfüllung“.
1802 wurde der Roman posthum als Fragment veröffentlicht.
Ludwig Tieck übernahm die Aufgabe, aus Notizen des Dichters und aus Erinnerung an ehemalige persönliche
Gespräche mit ihm, eine kurze Zusammenfassung der Handlung im geplanten zweiten
Teil des Romans auszuarbeiten. Tieck verzichtete dabei auf eine
schriftstellerische Ergänzung des Ganzen, vielmehr erzählte er der Nachwelt
kurz und bündig von den Absichten seines Freuden Novalis. Ganz am Ende dieser
Zusammenfassung, die sich im Anschluss an das Werk befindet, erklärt uns Tieck
über seine Aufgabe und Arbeit: „Ich habe in dieser Anzeige lieber trocken und
kurz sein wollen, als in die Gefahr geraten, von meiner Phantasie etwas
hinzuzusetzen. Vielleicht rührt manchen Leser das Fragmentarische dieser Verse
und Worte so wie mich, der nicht mit einer andächtigern Wehmut ein Stückchen
von einem zertrümmerten Bilde eines Raphael oder Correggio betrachten würde“
(Tieck in Novalis 1902: 225). Der unersetzbare Verlust besteht vor allem darin,
dass die Handlung des zweiten Teils eine Erweiterung, mancherorts auch
Erklärung des ersten sein sollte. Die Hauptfigur – der werdende Dichter
Heinrich – sollte zu einem verklärten Dichter werden, während zahlreiche andere
Figuren in wunderbaren Verknüpfungen zurückkommen; alles vergeistigt durch
Novalis` Philosophie und Mystizismus und ihre poetisch-allegorische Form.
Die Handlung des Romans spielt im Mittelalter, im 13.
Jahrhundert. Unter den Figuren können wir historische, sagenhafte und ganz
fiktive unterscheiden, dazu gibt es eine Reihe allegorischer. Oft wird eine Individualität
auf mehrere Figuren verteilt.
5. Wege nach Koexistenz eines romantischen Individuums mit der Gesellschaft geschildert in Novalis` „Heinrich von Ofterdingen“
Als wir als Leser zum ersten Mal dem jungen Heinrich
begegnen, liegt er unruhig in seinem Bett. Es ist schon Nacht, das dunkle
Zimmer wird nur manchmal durch den Mond erhellt. Seine Eltern schlafen schon,
er aber kann es nicht. Am Tag hielt sich nämlich in ihrem Wohnort ein
enigmatischer Fremde auf, der um sich manche Menschen sammelte, die seinen
Erzählungen zuhörten. Auch Heinrich war unter diesen Menschen. Jetzt gedenkt er
des Gehörten. Etwas hatte in ihm eine Sehnsucht erweckt, die er früher nicht
gekannt. Nach einer Überlegung, wird er sich darüber im Klaren, dass es nicht
die Schätze aus den Erzählungen sind, wonach er das Verlangen spürt. Schon auf
der ersten Seite des Romans erfahren wir also über den jungen Helden, dass er
nicht auf Besitz eingestellt ist. Das Vergängliche lockt ihn nicht. „[F]ern ab
liegt mir alle Habsucht“, sagt er zu sich selbst (Novalis 1902: 63). Schon dies
unterscheidet ihn von den Meisten. Der wichtigste Unterschied besteht jedoch
darin, dass nur er unter den Zuhörern auf die sagenhafte blaue Blume richtig
aufmerksam geworden war. Der Gedanke an sie stört seine Ruhe. Er weiß selber
nicht, was sie bedeuten kann, aber er spürt ein starkes Bedürfnis, sie zu
erreichen. Dabei folgt er seinen Ahnungen, dass sie, die geheimnisvolle Blume,
ihn glücklich und erfüllt machen würde.
Plötzlich erkennt er seine eigene Andersartigkeit der
Gesellschaft gegenüber. Er bemerkt, dass er der Einzige ist, der die blaue
Blume im Gedanken behält: „die andern haben ja das Nämliche gehört, und keinem
ist so etwas begegnet“ (Novalis 1902: 63). Wenn die „andern“ nach den
Erzählungen des Fremden ähnliche Sehnsucht nicht spüren, dann können sie die
seinige nicht begreifen – das ist natürlich ganz logisch. Auch dieser Tatsache
wird sich Heinrich bewusst: „das kann und wird keiner verstehen“ (Novalis 1902:
63).
Novalis wollte wahrscheinlich nicht, dass die Leser
seinen Helden als einen traumverlorenen Schwärmer empfinden, da er schon
zwischen den entzücken Worten, welche Heinrich der blauen Blume, diesem noch
unbestimmten Sehnen widmet, eine Bemerkung hineingeschrieben hatte, die sanft
aber eindeutig vom klaren Verstandesdenken desselben deutet: „Ich glaubte, ich
wäre wahnsinnig, wenn ich nicht so klar und hell sähe und dächte“ (Novalis
1902: 63). Auf diese Weise bekommen wir ein ganzheitliches Bild des jungen
Helden: er ist ein klardenkender Mensch, kein Schwärmer, kein Outsider, er
weist keine Sozialschwäche auf. Er nimmt am gesellschaftlichen Leben gern teil.
Das Einzige, was ihn von den Übrigen unterscheidet, ist eine (noch nicht
definierte) Berufung, von der er schon jetzt weiß, dass kaum jemand sie
verstehen wird, die aber so stark ist, dass er ihr nicht widerstehen kann.
Von dem Zeitpunkt an möchten wir uns auf diesen jungen
Menschen aufmerksam machen und beobachten, wie er sich – getrieben von innerer
Sehnsucht – in der Gesellschaft verhalten wird.
Heinrich schläft endlich ein. Es träumt ihm ein
entzückender Traum, als durchwanderte er Räume und Zeiten; gegen Morgen sieht
er endlich eine „lichtblaue Blume“, die
sehr schön ist und scheint eine Mischung aus Blüte, Frau und Geist zu sein[17]. Das letzte Gefühl im Traum ist das des
Staunens. In diesem Moment – dem Moment höchster Spannung – wird der Schlafende
plötzlich geweckt. Es ist die Stimme seiner Mutter, was ihn zum Wachzustand
bringt. Man könnte vermuten, Heinrich würde sich jetzt ärgern. Novalis
widerspricht diesen Vermutungen: Heinrich „war zu entzückt um unwillig über
diese Störung zu sein“ (Novalis 1902: 66).
Für den jungen Helden war das eine schwierige Probe –
auch wenn es sich diesmal nur um eine Traumvision handelte, war das doch etwas
sehr Angenehmes für ihn, und die Außenwelt hatte es ihm unerwartet geraubt und
zwang ihn zum gewöhnlichen Alltag zurück. Heinrich besinnt sich jedoch im Nu,
konzentriert sich auf die positiven Seiten der ihm wohlbekannten Außenwelt
(begrüßt seine Mutter, die ihm sehr lieb ist, lässt sich von ihr umarmen und
erwidert diese Umarmung). Seine Waffe gegen Ärger ist die Entzückung, die der
Traum hervorgerufen, und welche verursacht, dass das ungewollte Erwachen nichts
löschen vermag. Er weiß – was geschehen ist, ist geschehen, das Träumen ist
vorbei – wozu denn sich die schöne Erinnerung daran auf böses Hinbrüten zu
wechseln?
Der ersten Probe folgt gleich die zweite: „‘Du
Langschläfer‘, sagte der Vater“ (Novalis
1902: 66), und obwohl er das freundlich meinte, könnte er damit seinen Sohn
unbewusst verletzen. Einige Augenblicke her offenbarte sich Heinrich sein
höchstes Glück (auch wenn nur im Traum); dieses Glück wurde ihm (durch die
Erweckung) entnommen und jetzt wird ihm nichts anderes als Faulheit vorgeworfen!
Das benutzte Wort „Langschläfer“ weist darauf hin, dass man am Heinrichs Schlaf
nichts besonderes bemerkte, er wurde nach gewöhnlichen Normen gemessen und als
bloße Übertriebenheit beurteilt. Für die Außenwelt bleibt das Empfinden eines
Ich unüberschaubar, denn sie kann nur das Äußere wahrnehmen. Heinrich versteht
es und statt den lustigen Spitznamen seinen Eltern übel zu nehmen und sich
herabgewürdigt zu fühlen, bleibt er
völlig ruhig, entschuldigt sich sogar dafür, dass er so lange im Bett bleibt,
erklärt das zunächst damit, dass er lange nicht einschlafen konnte und erst
dann sagt er, dass ihm etwas sehr Anmutiges träumte. Erst danach wagt er etwas
mehr davon zu erzählen, das nämlich, dass er denkt, es sei „mehr als bloßer
Traum gewesen“ (Novalis 1902: 66). Wieder stößt er auf Unverständnis. Die
Mutter erwidert ihm: „du hast dich gewiβ auf den Rücken gelegt oder beim
Abendsegen fremde Gedanken gehabt. Du siehst noch ganz wunderlich aus. Iβ und
trink, daβ du munter wirst“ (Novalis 1902: 66). Diese liebevolle, gleich aber
auch etwas spöttische Aussage ist etwas, woran sich ein romantisierendes
Individuum gewöhnen muss: Der, den Menschen unbekannte Zustand wird von ihnen
nicht ernst genommen. Es besteht die Gefahr, dass derjenige, den die Anderen
auf diese Weise behandelt hatten, sich dann zurückzieht, denn wer würde
schließlich wollen, dass man sein Heiligtum verlacht, bagatellisiert oder
verneint. Das Ich versucht über die Sachen des Geistes zu reden, bekommt jedoch
eine Antwort, die nur Physisches enthält:
„du hast dich gewiβ auf den Rücken gelegt! Iβ und trink!“ An diesem
Beispiel beobachten wir übrigens eine totale Verdrehung, die sich oft auf der
Linie: Ich und seine Umwelt zeigt. Sie funktioniert nach folgendem Muster: Das
Ich erzählt der Außenwelt über das Geistige; die Außenwelt nimmt selbst die
Absicht, von solchen Dingen erzählen zu wollen als eine Folge irgendwelcher
physischen Ursachen (z.B. Mangel an Nahrung, unbequemer Schlaf); das Physische
wiederum soll den Geist beeinflussen (stören); und so ist die Außenwelt davon
überzeugt, dass nicht das Geistige sondern das Physische der Grund der (ihrer
Meinung nach scheinbaren) Vergeistigung des Ich sei.
Die Mutter verlässt das Zimmer. Da hört Heinrich die
Worte seines Vaters, der sich inzwischen an seine Arbeit macht: „Träume sind
Schäume, mögen auch die hochgelahrten Herren davon denken, was sie wollen, und
du thust wohl, wenn du dein Gemüt von dergleichen unnützen und schädlichen
Betrachtungen abwendest“ (Novalis 1902: 66). Novalis konfrontierte seinen
Helden, in dem immer noch innigste Entzückung glühte mit Spott und Ablehnung
des Vaters. Diese oben angeführte Aussage enthält zwei wichtige Informationen
über die Ansichten des Letzteren in Bezug auf das Thema „Träume“: Erstens, es
sei eine Zeitverschwendung, darüber nachzudenken und den Träumen irgendwelche
verschlüsselte Bedeutungen zuzuschreiben, wie das zum Beispiel die Philosophie
oft macht; zweitens spricht der Vater deutlich dagegen, dass Heinrich ein
Mensch wird, der solchem „Blödsinn“ folgt, weil das ihm sonst schaden würde.
Das, was für den Sohn ein Heiligtum ist, bezeichnet der Vater als „unnütz“.
Zwischen den Zeilen kann man einen Widerhall des aufklärerischen Utilitarismus
wahrnehmen: Der Vater, der während des Gesprächs tüchtig arbeitet, und der den
Ahnungen und der heißen Verwunderung seines Sohnes keinen Wert gibt,
repräsentiert in diesem Moment den Geist der Aufklärung, die keinen Aberglauben
leidet und die die Vita activa für
die einzige akzeptable Lebensform hält.
Heinrich gibt nicht auf und zieht sich nicht zurück.
Zuerst wünscht er sich einen Grund zu hören, warum der Vater so sehr den
Träumen entgegen ist, während man daraus mindestens den Vorteil ziehen kann,
dass dadurch das Nachdenken rege wird. Dann macht er den Vater auf die Tatsache
aufmerksam, dass – auch „ohne noch an göttliche Schickung dabei zu denken“ –
Träume sind eng mit unserem „Inneren“, unserer Psyche verbunden; durch sie
können wir etwas über uns selbst erfahren, denn sie sind „ein bedeutsamer Riβ
in den geheimnisvollen Vorhang …, der mit tausend Falten in unseres Inneres
hereinfällt“ (Novalis 1902: 67). Anschließend erinnert Heinrich den Vater, dass
viele „glaubhafte Menschen“, derselben Meinung wie er sind und unter denen
befindet sich auch der „ehrwürdige Hofkaplan“ (offensichtlich eine Autorität im
Haus); dass jener neulich auch einen seiner Träume erzählt hatte, der sogar ihm
– dem Vater selbst – „merkwürdig vorkam“ (Novalis 1902: 67). Heinrich
präsentierte seinem Gesprächsgegner insgesamt vier gut überlegte, sachliche
Argumente, und fragte nach einem einzigen – aber konkreten – Gegenargument. Er
verzichtet auf Worte, die sich auf Empfindungen und Gefühle beziehen,
stattdessen redet er diesmal in einer solchen Sprache, die gut für diejenigen
verständlich ist, die des Verstandesdenkens gewöhnt sind. Als er mit diesem
Verfahren die gezielte Wirkung schon erreicht hatte – wagt Heinrich das
Empfinden wieder ins Gespräch hineinzuweben. Er wird nicht mehr verspottet.
Als die Mutter zurückerscheint, zieht sie aus den Erinnerungen
seines Ehegatten, dass auch ihm einmal ein Traum träumte, der einen großen
Einfluss auf seine Lebensentscheidungen verübte. Nach wie vor versucht sich der
Vater das auf eine rationale Weise zu erklären: es träumte ihm damals seine
künftige Frau, nur weil er sie früher schon kannte, usw. Heinrich nutzt die
Gelegenheit und bittet, ihm etwas mehr davon zu erzählen.
Es hat sich erwiesen, dass auch der Vater einst von der
blauen Blume träumte, doch weil er sich bald gänzlich der Vita activa widmete, geriet dieser Traum und die Entzückung nach
dem Anschauen der Blume in völlige Vergessenheit. Für Heinrich ist das nicht
ganz ohne Bedeutung, weil er erkennt, dass manchmal hinter einem Vorhang des
kalt denkenden Verstandes ein Menschenherz verborgen steckt, dass seine
Sehnsucht verstehen könnte; er müsste nur geschickt die verborgene Öffnung in
dem Vorhang auseinanderziehen.
Im zweiten Kapitel des Romans brechen Heinrich und seine
Mutter in Begleitung von Kaufleuten nach Augsburg auf, wo sich das Haus seines
Großvaters mütterlicherseits befindet. Somit glaubt die Mutter zwei Dinge zu
erzielen: einerseits den Wunsch ihres lieben Vaters, den Enkel kennen zu
lernen, zu erfüllen, andererseits sollte eine lange Reise voller Neuheiten den
plötzlich veränderten Sohn, der ihrer Meinung nach krankhaft trüb geworden sei,
wieder heiter und gesellig machen (Novalis 1902: 72). Ungeachtet der
mütterlichen „List“, freut sich Heinrich auf die Reise, weil er bisher (in dem
Moment ist er zwanzig Jahre alt) nur seine Vaterstadt samt den umliegenden
Gegenden kannte (Novalis 1902: 72) Er sehnte sich danach, die ferne Welt zu
sehen.
Die Reisenden brechen auf. Die erste Empfindung ist dabei
die der Trauer. Heinrich erkennt, wie schwer ist es, von den Menschen und von
allem Wohlbekannten Abschied zu nehmen. Die ganze Gesellschaft bewegt sich
anfänglich stillschweigend und in sich versunken vorwärts (Novalis 1902:
74,75). Novalis betont damit, dass eine solche Trauer, das Gefühl, wenn man
jemanden oder etwas verlassen muss, allen Menschen eigen ist. Ein gemeinsam
gefühltes Empfinden bildet immer eine gute Basis für das gegenseitige
Verständnis. Und gerade diese Empfindung sei besonders stark, meint Novalis.
Die erste Trennung macht uns nämlich die Vergänglichkeit bewusst und ist „eine
erste Ankündigung des Todes.“ (Novalis 1902: 74)
Die Mutter, die sich auf ihren pragmatischen Reiseziel
besinnt, bricht als Erste die Stille und beginnt über ihr Vaterland Schwaben zu
erzählen. Die Kaufleute schalten sich in das Gespräch ein und preisen das Land,
als den freundlichsten und schönsten Ort, den sie kennen. Es ist eine halb
utopische Vorstellung eines wirklich existierenden Landes. Diese Utopie könnte
realisierbar sein, mindestens scheint der Dichter so zu glauben. Sie beruht
nämlich nicht auf einer „von oben gegebenen“ perfekten Ordnung oder einfach
existierendem Wohlstand, sondern sie ist das Ergebnis von der Arbeit der
Bewohner an sich selbst. Diese wussten in allen Bereichen ihres Lebens die
goldene Mitte zu finden. Vor allem geht es hier um das Verteilen der Arbeits-
und Erholungszeit. Es wird mit Hingabe gearbeitet, dann aber, am Abend und an
freien Tagen, gibt es Zeit ausschließlich für die Vergnügungen. „Die Menschen
wissen das Nützliche zu befördern, ohne das Angenehme zu verachten“ (Novalis
1902: 75). Die Fähigkeit, sich die Erholungszeit für Leib und Seele zu
verschaffen, verursacht, dass eine vergrößerte Nachfrage nach Künstlern aller
Art entsteht. In der Folge davon können sich auch die Letzteren in der
Gesellschaft zurechtfinden, denn auch sie für ihre Arbeit anerkannt und belohnt
werden, obwohl ihre Arbeit ganz anderer Natur ist. Alle Menschen in diesem
Schwaben arbeiten um zu leben, und nicht etwa umgekehrt – leben um zu arbeiten.
Demzufolge, wie die Kaufleute berichten, ist ihr Wesen milder, freudiger und
offener, und die Arbeit fällt ihnen viel leichter, wovon das Land profitiert:
„Geld, Tätigkeit und Waren erzeugen sich gegenseitig und treiben sich in
raschen Kreisen“ (Novalis 1902: 75). Eine solche Utopie scheint mehr oder weniger
realisierbar sein; auch ein einzelner Mensch kann sich auf solche Lebensart
entscheiden. Bestimmt würde das dort leichter zu machen, wo die Anderen nach
gleichem Muster handeln. Es wird erzählt, dass nach Schwaben (dies utopische
Schwaben), verschiedene Schöngeister und Künstler ziehen, als ob Novalis allen
ihm gegenwärtigen und zukünftigen Schöngeistern und Künstlern sagen wollte:
Suchet euch einen Ort, wo eure Arbeit belohnt wird; bleibt nicht dort, wo man
sie nicht schätzt![18]
An dem, worüber die Kaufleute gerade gesprochen hatten,
lässt sich noch etwas feststellen, was vielleicht dem ersten Blick entflieht,
was sich uns aber nach einer Weile gut sichtbar zeigt. Es geht nämlich um die
Tatsache, dass die Kaufleute in der Begleitung von Heinrich plötzlich über
Kunst: Poesie, Gesang, Malerei und dergleichen zu reden anfangen. Das passiert
nicht ohne Grund. Selbst die Gegenwart, die Nähe eines Künstlers oder eines
Kunstliebenden, ist imstande die Anderen dazu zu bewegen, über die Sachen des
„Tiefsinns“ zu denken und zu sprechen. Die Kaufleute ahnen, dass etwas dieser
Art Heinrich interessieren könnte, sie spüren sein Enthusiasmus und lassen sich
von ihm bestrahlen.
Die gesellschaftlich positive, verbindende Rolle des
Enthusiasmus` besteht darin, dass er die wahre Natur eines Menschen aus seinem
Innern hervorzieht und sie den Anderen offenbart, was nicht zu unterschätzen
ist. Dazu ist seine Wirkung gegenseitig. Er kann uns dabei verhelfen,
gemeinsame Themen unterbewusst zu wählen. Außerdem, wenn die Anderen sehen,
dass wir auf ihre Worte enthusiastisch reagieren, sind sie sich sicher, dass
wir das wahrhaftig tun, denn Enthusiasmus lässt sich eigentlich nicht
vorspielen. Wahrhaftigkeit wiederum erzeugt Wahrhaftigkeit und unsere
Mitmenschen befinden sich in einer komfortablen Lage, wo sie nicht zu fürchten
brauchen, uns gegenüber natürlich und offen zu sein.
Die Atmosphäre wird vertraut, die sich unterhaltenden
Reisenden entspannen sich. In diesen himmlischen Frieden wirft Novalis
unerwartet einen Zankapfel hinein, und zwar nicht irgendeinen, sondern einen
solchen, der – bis an den heutigen Tag – heftigste Kontroverse hervorruft. Es
handelt sich um die Frage, ob sich die Kirche in die Politik und in die
Wissenschaft einmischen sollte oder nicht. Die Kaufleute sind dagegen (sie
beginnen die Diskussion mit einer Attacke), Heinrich ist dafür, und
repräsentiert damit die Ansichten des Novalis.[19]
Es ist bemerkenswert, dass der Dichter – der Mystiker und Befürworter der
entscheidenden Rolle des Glaubens in allen Aspekten des irdischen Daseins der
Menschen, dass er ganz am Anfang der Auseinandersetzung, gewichtige, sachliche
und bis heute aktuelle Gegenargumente auf die Lippen der Kaufleute legt. Diese
sind:
1)
Die
Geistlichen sind „von dem weltlichen Leben abgesondert“, deswegen sollten ihnen
die Wissenschaften abgenommen werden.
2)
Sie
sind zu ungesellig und zu unerfahren, als das die Fürsten von ihnen beraten
werden sollten.
3)
„In
der Einsamkeit, in welcher sie nicht selbst teil an den Weltgeschäften nehmen,
müssen ihre Gedanken eine unnütze Wendung erhalten und können nicht auf die
wirklichen Vorfälle passen.“
4)
Auch
unter den Leien findet man „erfahrne Männer.“ (Novalis 1902: 76)
Auf diese, wirklich schwere Vorwürfe muss Heinrich (und
Novalis) jetzt antworten. Er wird seine Meinung verteidigen wollen, doch nicht
auf eine aggressive Weise, welche die verschiedensten Diskussionen zu einem
Streit macht. Zuerst überlegt er sich alles und erst „nach einer Weile“
(Novalis 1902: 77) erzählt über das ihm sehr nahe Beispiel des bekannten
Hofkaplans, der für ihn immer ein guter Lehrer und Ratgeber war, „der gewiβ ein
Muster eines weisen Mannes ist“ (Novalis 1902: 77). Das Beispiel überzeugt
seine Gesprächsgegner nicht. Zwar stimmen sie Heinrich zu, dass der Hofkaplan
ein ehrenwerter Mensch ist, doch seine Weisheit bezieht sich auf die „Sachen
des Heils“ und auf Überirdisches (Novalis 1902: 77), was mit der Weltklugheit
wenig zu tun hat. Heinrich erwidert mit der Suggestion, dass vielleicht „diese
höhere Kunde ebenso geschickt machen“ kann, und dass sie dabei behilflich sein
könnte, „recht unparteiisch den Zügel menschlicher Angelegenheiten zu führen“
(Novalis 1902: 77). Er meint, „jene kindliche, unbefangene Einfalt“, trifft
„sicherer den richtigen Weg durch das Labyrinth der hiesigen Begebenheiten“
(Novalis 1902: 77). Demgegenüber die weltliche Klugheit wird oft „geblendet,
irregeleitet und gehemmt, sei es von der unerschöpflichen Zahl neuer Zufälle
und Verwickelungen, oder durch Rücksicht auf eigenen Vorteil“ (Novalis 1902:
77). Weiter vergleicht Heinrich zwei Wege, zur Weisheit zu kommen: den Weg der
Erfahrung und den, der „inneren Betrachtung“ (Novalis 1902: 77). Während der
erste lang, mühsam und krumm sei, sei der zweite einem „Sprung“ gleich, weil er
die „Natur jeder Begebenheit und jeder Sache gleich unmittelbar anschau[en]“
lässt (Novalis 1902: 77).
Mit solchen Argumenten rechneten die Kaufleute nicht. Sie
gestehen, dass sie davon wenig verstehen (Novalis 1902: 77). Beide Seiten
bleiben also bei ihren Meinungen und auch die Frage, wer hier Recht hat, bleibt
unbeantwortet.
Diese, könnte man sagen „fehlende“ Lösung wurde von
Novalis gezielt so konstruiert und die
Form dieser Auseinandersetzung beinhaltet wichtige Hinweise zur
Diskussionsführung im Falle der sogenannten „Streitfällen“, egal, ob der
Konflikt am Thema oder aber an den verschiedenen Naturen der Gesprächsgegner
liegt. Die oben dargestellte Situation enthält beides.
Wir kommen zum folgenden Schluss: Der Sinn der Diskussion
ist nicht die Meinungsänderung einer der Seiten, sondern die Möglichkeit,
einender besser verstehen zu können!
Auch, wenn man bei seiner Meinung fest bleibt, hat man
die Chance, die Gründe kennen zu lernen, warum der Andere anders denkt. Das
Verständnis erzeugt gegenseitigen Respekt. Diese Achtung drückt sich dann sogar
darin aus, wie die Auseinandersetzung verläuft: man spricht nicht etwa: „ich
weiß“, „es ist so und so“, sondern bezieht seine Meinung auf sich selbst, indem
er zum Beispiel sagt: „mir dünkt“ (Novalis 1902: 77), „wir ehren [deine Meinung
davon], aber dennoch können wir [ihr] nur insofern Beifall geben, daβ…“
(Novalis 1902: 77). Bei solch einer Diskussion verwandeln sich die
Gesprächsgegner in wahre Gesprächspartner.
Der Roman besteht aus unzähligen Gesprächen, Erzählungen
und lehrhaften Reden. Der literarische Topos einer Wanderung (Heinrich und die
Anderen wandern nach Augsburg) wird von dem inneren Werdegang Heinrichs (zum
Mann und zum Dichter) begleitet, der sich auch (wenn nicht vor allem) in den
Gesprächen vollführt. Gleich nach dem Meinungsaustausch in Bezug auf Kirche und
Politik, gehen die Wanderer zum Thema Poesie über. Aus dem reichen Wortschatz
Heinrichs und seiner Neigung zum „Wunderbaren“, schließen die Kaufleute, er
wäre zum Dichter veranlagt (Novalis 1902: 78). Heinrich, der in diesem Moment
nur eine dunkle Ahnung von der Poesie hat (er hatte noch keinen Dichter gesehen
oder gehört), bekommt jetzt zum ersten Mal die Chance, etwas darüber zu
erfahren, weil die Kaufleute schon mehrere Künstler getroffen hatten. Die
Letzteren sind vergnügt, dem jungen Mann einiges darüber zu erzählen, obwohl,
wie sie selbst gestehen, sie sich bisher „nie um die Geheimnisse der Dichter
bekümmert“ hätten (Novalis 1902: 78). An diesem Beispiel sehen wir, dass – wenn
das romantische Ich es der Gesellschaft erlaubt – kann sie ihm etwas
beibringen, und sie wird es mit wahren Gefallen tun. Wenn wir uns vorstellen,
Heinrich würde den Kaufleuten sagen, sie hätten kein Recht sich über Poesie zu
äußern, weil sie sie nicht bis auf den Grund begreifen können, dann können wir
vermuten, die Kaufleute würden sich verletzt fühlen uns sich vor dem
hochnäsigen Jungen verschließen, was allmählich zu einem Konflikt führen
könnte. Heinrich jedoch, der seine Andersartigkeit gegenüber den Übrigen fühlt,
sondert sich von ihnen nicht aus und sucht sich in ihren Erzählungen das aus,
was ihm wichtig und wertvoll erscheint. Ein paar Überlegungen mit Entzückung
gehört, erbittet Heinrich von seinen Reisegefährten, ihm von den Sängern,
welche sie getroffen hatten, einiges zu sagen (Novalis 1902: 80). Die Kaufleute
erzählen manche von den Letzteren gehörte Geschichten nach. Auf diese Weise
macht sich Heinrich mit der Orpheus- und Arionsage vertraut. Das ganze dritte
Kapitel des Romans füllt die nächste Geschichte, das sogenannte „Atlantis-Märchen“,
wo es sich – wie in den zwei vorigen Sagen – um wunderbare Wirkungen der Poesie
handelt (Ritzenhof 2004: 27).
Rüdiger Safranski in seinem Buch „Romantik – eine
deutsche Affäre“ schreibt: „Die Romantik triumphiert über das Realitätsprinzip.
Gut für die Poesie, schlecht für die Politik, falls sich die Romantik ins
Politische verirrt“ (Safranski 2007: 13). Novalis, für den das Ideale das Reale
war, scheint diese Gefahr zu erkennen und warnt die Romantiker davor, in den
politischen oder/und religiösen Fragen allzu rasch Urteile zu fällen. Im
vierten Kapitel des „Ofterdingen“ malt der Dichter vor unseren Augen eine
solche Situation, wo innerhalb einer konkreten Menschengruppe die
Manipulations- und Selbstmanipulationsmaschine in Bewegung gebracht werden
kann. Derselbe Enthusiasmus, der vorher als ein Faktor dargestellt wurde, der
eine positive, verbindende Rolle zwischen einem romantischen Ich und der
Gesellschaft spielen kann, zeigt sich jetzt von seiner dunklen Seite. Es
besteht nämlich die Gefahr, dass er in einen blinden – und blendenden – Eifer
ausarten kann. Natürlich nicht nur in der Politik wäre das fatal, aber vor
allem in der Politik, denn sie betrifft ganze Massen.
Heinrich und die Reisenden kommen auf ein Schloss, dessen
Herr ein alter Kriegsmann ist, der die Langeweile des Friedens mit Feiern und
Trinken unter anderen Kriegsmännern zu töten versucht. Die Ankommenden werden
herzlich begrüßt, an den Tisch gesetzt und mit vollen Bechern beschert.
Natürlich wird es von Kämpfen und Abenteuern erzählt, und Heinrich hört sich
das mit Aufmerksamkeit an (Novalis 1902: 101). Auf diese Weise erfährt er, wie
„fröhlich und wunderbar“ das Leben „im Felde und im Lager“ ist (Novalis 1902:
102) und welch eine wichtige Mission die Ritter im heiligen Lande zu erfüllen
haben: Dort, geschändet von den Sarazenen, befindet sich das heilige Grab, das
sie erlösen wollen.
Der Schlossherr legt dem Jungen seinen Schwert in die
Hände. Die laute, trinkende Gesellschaft, die traurige Geschichte von dem Grab
Jesu, das sich im Besitz der Frevelhaften befindet (vergessen wir nicht, wie
religiös Heinrich ist), das prächtige Schwert, die ermunternden, „brüderlichen“
Ausrufe und – bestimmt auch – der Alkoholrausch, all das verursacht, dass sich
bald auch Heinrich „von einer kriegerischen Begeisterung ergriffen“ fühlt
(Novalis 1902: 102). Er küsst das Schwert. Die versammelten Ritter erzählen von
einer neuen, baldigen Kreuzfahrt und versuchen den jungen Mann als neuen
Mitkrieger zu gewinnen, indem sie ihm über schöne, morgenländische Mädchen
berichten, die man sich dann (wie der alte Schlossherr) als Gefangene nehmen
kann (Novalis 1092: 102). Der Enthusiasmus Heinrichs steigt; er ist
entschieden, Kreuzfahrer zu werden. Der Entschluss wird noch durch das Lied
bekräftigt, welches „damals in ganz Europa gesungen wurde“ (Novalis 1902: 102).
Und was es in diesem Lied nicht alles gibt:
„Das Grab steht unter wilden Heiden,
Das Grab, worin der Heiland lag,
Muβ Frevel und Verspottung leiden
Und wird entheiligt jeden Tag.
Es klagt heraus mit dumpfer Stimme:
‚Wer rettet mich von diesem Grimme?‘“ (Novalis 1902:
102-103)
Alle zehn Strophen sind so konstruiert, dass sie in den
Singenden wahre Wut und Hass den „Heiden“ gegenüber erzeugen, sie stellen die
Kreuzfahrer beinahe als Heilige oder Märtyrer dar. Das Grab, das laut jammert
und weint, weil es „jeden Tag entheiligt“ wird, ist natürlich eine bildhafte
Propaganda-Darstellung, welcher jeder Christ leicht zur Opfer fallen kann. Ein
charakteristisches Merkmal der Propaganda-Lieder ist auch, dass sich die
Menschen (die Hörenden und die Mitsingenden) persönlich angesprochen fühlen
sollten. Das Grab ruft: „Wer rettet mich?“ und ein Jeder will antworten: Ich!
Dabei selbst der Entschluss, es zu befreien, verursacht, dass sich der „Retter“
schon als ein Held fühlt, und dass er, schon wegen des bloßen Entschlusses, auf
sich selbst stolz ist.
Alle diese Bestandteile: männliche, exklusive
Gesellschaft, Vorstellung von heroischen Taten, Überzeugung, dass man sich auf
der guten Seite befindet, schöne Frauen als Belohnung und sogar Gottes Segen,
alles begossen mit dichtem Propaganda-Saft – all das hat die Aufgabe zu
verführen. Und je mehr enthusiastisch die Natur eines Menschen, desto schneller
erfolgt seine Verführung und Verblendung: „Heinrichs ganze Seele war in
Aufruhr, das Grab kam ihm wie eine bleiche, edle, jugendliche Gestalt vor, die
auf einem groβen Stein mitten unter wildem Pöbel säβe und auf eine entsetzliche
Weise gemiβhandelt würde“ (Novalis 1902: 104).
In diesem Moment der Handlung kommt es zu einer Wende:
Die Mutter ruft Heinrich herbei. Er beruhigt sich ein bisschen und bittet um
die Erlaubnis, nach draußen gehen zu dürfen, und er bekommt diese. Der
Spaziergang im Freien kann folgendermaßen gedeutet werden: Heinrich entfernt
sich von der laut feiernden Gesellschaft, weil er (intuitiv) die Notwendigkeit
fühlt, sich alles im Stillen noch einmal zu überlegen, mit sich selbst klar zu
kommen; an das Wortschatz des Novalis anknüpfend – sich „abzukühlen“. Draußen
wird ihm die Gelegenheit geboten, frisch nach dem kriegerischen Eifer, die
gehörten Geschichten zu verifizieren. Er trifft das morgenländische Mädchen
Zulima (die „Beute“ des Schlossherren). Zuerst hört er Zulima ein Lied singen,
aus dem er erfährt, was die Kreuzfahrer ihr und ihrer Familie angetan hatten:
„‘Fürchterlich wie Meereswogen,
Kam ein rauhes Heer gezogen,
Und das Paradies verschwand.
‘Fürchterliche Gluten flossen
In die blaue Luft empor,
Und es drang auf stolzen Rossen
Eine wilde Schar ins Thor.
Säbel klirrten, unsre Brüder,
Unser Vater kam nicht wieder,
Und man riβ uns wild hervor.
‘… Wäre nicht das Kind vorhanden,
Längst hätt` ich des Lebens Banden
Aufgelöst mit kühner Hand.“ (Novalis 1902: 106)
Noch eine Weile vorher sah Heinrich in den Kreuzfahrern
vorbildhaft handelnde Helden und in den Heiden beinahe Unmenschen, jetzt sieht
er alles von der anderen Seite: es sind die „Helden“, die ihm als unmenschliche
Angreifer vorkommen. Im weiteren Verlauf der Handlung erzählt Zulima über ihr
Vaterland, wie märchenhaft schön es ist und wie die Menschen dort Poesie und
Natur zu schätzen wissen. Auch widerspricht sie dem Menschenbild ihrer
Landsleute, wie es von den Rittern ausgemalt wurde: „Nirgends wurden Gefangene
groβmütiger behandelt, und auch Eure Pilger nach Jerusalem wurden mit
Gastfreundschaft aufgenommen, nur daβ sie selten derselben wert waren. … Wie
ruhig hätten die Christen das heilige Grab besuchen können, ohne nötig zu
haben, einen fürchterlichen, unnützen Krieg anzufangen…? (Novalis 1902: 108)
Zulima erklärt ihm auch, dass das heilige Grab auch für ihre Landsleute eine
heilige Stätte ist. „[W]ie schön hätte sein heiliges Grab die Wiege eines
glücklichen Einverständnisses, der Anlaβ ewiger, wohlthätiger Bündnisse sein
können!“ (Novalis 1902: 109)
In seinem Roman gibt Novalis dem jungen Helden die
Möglichkeit, sich die zwei Seiten der Medaille beinahe gleichzeitig
anzuschauen; normalerweise jedoch ist das den Menschen nicht gegeben. Deswegen
müssen wir immer wachsam bleiben, besonders wenn wir impulsiv handelnde,
enthusiastische Naturen sind, mit der Neigung zum Idealisieren. Es besteht
nämlich die Gefahr, erstens – dass jemand uns ausnutzen, betrügen kann; genauso
gut können wir uns aber selbst in der sumpfigen Gegend der Moral verirren. Wenn
wir uns selbst beobachten, erlernen, wenn wir unsere eigene Natur gut kennen,
dann ist es sicher schwerer, uns zu manipulieren.
Im fünften Kapitel wird erzählt, wie die Reisenden, in
einem Wirtshaus angekommen, einen alten Bergmann treffen. Dieser spricht über
das Leben der Bergleute und über ihre schwere aber auch außergewöhnliche
Arbeit. Danach sammelt er eine willige Gruppe von Bauern und Kaufleuten, um
gemeinsam in eine Berghöhle zu gehen, die sich in der Nähe befindet. Heinrich
ist auch dabei.
Der alte Bergmann zieht die Aufmerksamkeit der Reisenden
und anderer Trinkgäste im Wirtshaus auf sich. An seiner Kleidung merkt man,
dass er aus fremden Landen gekommen sein muss. Die Menschen sind neugierig,
gesellen sich also zu ihm, um etwas Spannendes zu hören. Es erweist sich, dass
der gebürtige Böhme ein hervorragender Erzähler ist, und seine Erörterungen zeugen
von vielen Kenntnissen und Macht. Mit seiner Lebensgeschichte, bezaubert er die
Versammelten. Auch sein bescheidenes Verhalten gewinnt ihre Herzen.
Aus den Reden des Bergmanns ziehen wir wichtige Lehren,
die sich auf das gesellschaftliche Leben beziehen. Wie wir schon besprochen
haben, sieht Novalis in der „zweckmäßige[n], anhaltende[n] Beschäftigung …
Hilfsmittel, seinen Charakter fest und seine Ruhe, Unbefangenheit und gute
Laune dauerhaft zu machen“ (Hardenberg
2010: 74). Jetzt wird diese These erweitert: ein Jeder sei für eine konkrete
Arbeit und eine konkrete Lebensart prädestiniert; nur wenn man seine eigene
Berufung erkennt und ihr folgt – nur dann sei seine Arbeit von Vorteil, sowohl
für ihn als auch für die Anderen. Der alte Bergmann sagt:
„Es läβt sich auch diese volle Befriedigung eines angeborenen Wunsches,
diese wundersame Freude an Dingen, die ein näheres Verhältnis zu unserem
geheimen Dasein haben mögen, zu Beschäftigungen, für die man von der Wiege an
bestimmt und ausgerüstet ist, nicht erklären und beschreiben. Vielleicht daβ
sie jedem andern gemein, unbedeutend und abschreckend vorkommen wären, aber mir
scheinen sie so unentbehrlich zu sein wie die Luft der Brust und die Speise dem
Magen.“ (Novalis 1902: 114)
Als
Beispielbeschäftigung, die sich gut für romantische Individuen, sogar für
Poeten, eignet, wird im Roman die der Bergleute dargestellt. Anfänglich kann
diese Idee wunderlich vorkommen, besonders, wenn man an der popularisierten
Vorstellung von der Romantik hängt. Man kann sich fragen: Was ist denn so
romantisch an der schweren, gefährlichen Arbeit, an der Begleitung von rauen
Mitarbeitern in der Dunkelheit der wuchtigen Berge? Beachten wir zwei folgende
Tatsachen: Der mystische Poet Novalis studierte an der Bergakademie. Der Autor
Novalis preist das Bergmannsfach. Das ist natürlich kein Zufall. Im Lebenstill
der Bergleute sieht er eine Alternative zum Lebenstill der Konsumgesellschaft.
Im Roman werden diese zwei verglichen. Fassen wir den Vergleich tabellarisch
zusammen:
Bergleute
|
Der Rest der Gesellschaft
|
|
Die Arbeit erweckt „Glauben an eine himmlische Weisheit
und Fügung“, erhält „Unschuld und Kindlichkeit des Herzens“ rein (Novalis
1902: 116).
|
√
|
|
Einstellung auf Besitz (Novalis 1902: 116,117).
|
√
|
|
Das Leben, die Natur, die schönen Momente im Leben
wirklich schätzen zu wissen (Novalis 1902: 116,117).
|
√
|
|
Dankbarkeit (Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
Gewöhnung „zu einer stumpfen Gleichgültigkeit gegen [die]
überirdischen tiefsinnigen Dinge“
(Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
Die „kindliche Stimmung“ wird behalten, was alles in
seinem eigentümlichen Geiste und in seiner ursprünglichen bunten
Wunderbarkeit erschein[en]“ lässt
(Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
Erkenntnis, dass die Natur „nicht der ausschließliche
Besitz eines Einzigen sein“ will (Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
„[Die Natur] als Eigentum verwandelt sich in ein böses
Gift, was die Ruhe verscheucht und die verderbliche Lust, alles in diesen
Kreis des Besitzers zu ziehen, mit einem Gefolge von unendlichen Sorgen und
wilden Leidenschaften herbeilockt“ (Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
Ruhe, gesunde Genügsamkeit (Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
Entfernung „von dem unruhigen Tumult des Tages“
(Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
Beseelung „von Wiβbegier und Liebe zur Eintracht“
(Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
„Unermüdliche Geduld“ (Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
Zerstreuung der Aufmerksamkeit „in unnütze Gedanken“
(Novalis 1902: 117).
|
√
|
|
„Das wahrhafte Vertrauen [zum] himmlischen Vater“
(Novalis 1902: 117).
|
√
|
Natürlich
ist das Bergmannsfach nicht als die einzige Möglichkeit zu betrachten, Glück
und Selbstverwirklichung im Alltagsleben zu finden. Vielmehr könnte uns der
oben dargestellte Vergleich verhelfen, eigene Prioritäten zu erkennen. Wenn man
diese schon weiß, ist es viel leichter, den Entschluss zu fassen, welche
Tätigkeit die beste wäre. Natürlich unter der (Rahmen)Bedingung, dass es eine
Wahl gäbe. Wenn wir aber bedenken, dass mindestens ein Drittel unseres Lebens
das Arbeiten ist – lohnt es sich nach einer solchen Beschäftigung zu suchen,
welche die inneren Konflikte nicht auslösen wird.
Das auf
die Reden des Alten folgende Lied ist im Grunde genommen eine poetische
Wiederholung des Lobes der bergmännischen Lebensart. Es beginnt mit den Worten:
„Der ist der Herr der Erde, Wer ihre Tiefen miβt“ (Novalis 1902: 119). Man
könnte es sowohl wortwörtlich als auch rein metaphorisch verstehen: Nur
Derjenige, dem die Erkenntnis von „tiefsinnigen Dingen“ am wichtigsten ist,
„der ist der Herr der Erde“. Die vergeistigte Natur erwidert des Bergmanns
Liebe und Treue und eröffnet ihm den Weg zur Erkenntnis:
„Der Vorwelt heil`ge Lüfte
Umwehn sein Angesicht,
Und in die Nacht der Klüfte
Strahlt ihm ein ew`ges Licht.“ (Novalis 1902: 119)
Letztendlich
wird noch einmal die Genügsamkeit der Bergleute betont: Das Gold und die
Edelsteine verderben sie nicht, denn sie behalten sie nicht: „Er bleibt auf den
Gebirgen Der frohe Herr der Welt“ (Novalis 1902: 120).
Der
verderblichen Macht des Goldes – der Eistellung auf Besitz – widmet Novalis das
zweite Bergmannslied. Die Menschen fallen ihrer Habsucht zur Opfer, sie werden
Sklaven des Königs (=des Goldes):
„Ein unermeβliches Geschlecht
Umgibt die festverschloss`nen Pforten,
Ein jeder spielt den treuen Knecht
Und ruft den Herrn mit süßen Worten.
Sie fühlen sich durch ihn beglückt
Und ahnden nicht, daβ sie gefangen,
Berauscht von trüglichem Verlangen
Weiβ keiner, wo der Schuh ihn drückt.“ (Novalis 1902:
121)
Das
Traurige dabei ist, dass es sich um ein „unermeβliches Geschlecht“ handelt,
einen riesigen Teil der Gesellschaft. Diese hohe Anzahl kann auf das
romantische Individuum bedrückend wirken, deswegen ist es sehr wichtig, dass es
sich gut überlegt, wie und mit welchen Menschen es seine Werktage verbringen sollte,
um nicht ständigen inneren und äußeren Konflikten ausgesetzt zu sein.
Das Bergmannsfach, wie es im Roman dargestellt wurde,
kann als Muster einer Arbeit betrachtet werden, die mit der inneren
Konstruktion eines Romantikers übereinstimmt. Wenn wir in die von uns
bearbeitete Tabelle unsere eigenen Prioritäten markieren und diese dann mit dem
von uns ausgeübten Beruf vergleichen, bekommen wir die Antwort, inwieweit diese
Beschäftigung zu uns passt:
Ich
|
Mein Beruf
|
|
Die Arbeit erweckt „Glauben an eine himmlische Weisheit
und Fügung“, erhält „Unschuld und Kindlichkeit des Herzens“ rein (Novalis
1902: 116).
|
||
Einstellung auf Besitz (Novalis 1902: 116,117).
|
||
Das Leben, die Natur, die schönen Momente im Leben
wirklich schätzen zu wissen (Novalis 1902: 116,117).
|
||
Dankbarkeit (Novalis 1902: 117).
|
||
Gewöhnung „zu einer stumpfen Gleichgültigkeit gegen
[die] überirdischen tiefsinnigen Dinge“
(Novalis 1902: 117).
|
||
Die „kindliche Stimmung“ wird behalten, was alles in
seinem eigentümlichen Geiste und in seiner ursprünglichen bunten
Wunderbarkeit erschein[en]“ lässt
(Novalis 1902: 117).
|
||
Erkenntnis, dass die Natur „nicht der ausschließliche
Besitz eines Einzigen sein“ will (Novalis 1902: 117).
|
||
„[Die Natur] als Eigentum verwandelt sich in ein böses
Gift, was die Ruhe verscheucht und die verderbliche Lust, alles in diesen
Kreis des Besitzers zu ziehen, mit einem Gefolge von unendlichen Sorgen und
wilden Leidenschaften herbeilockt“ (Novalis 1902: 117).
|
||
Ruhe, gesunde Genügsamkeit (Novalis 1902: 117).
|
||
Entfernung „von dem unruhigen Tumult des Tages“
(Novalis 1902: 117).
|
||
Beseelung „von Wiβbegier und Liebe zur Eintracht“ (Novalis 1902: 117).
|
||
„Unermüdliche Geduld“ (Novalis 1902: 117).
|
||
Zerstreuung der Aufmerksamkeit „in unnütze Gedanken“ (Novalis 1902: 117).
|
||
„Das wahrhafte Vertrauen [zum] himmlischen Vater“ (Novalis 1902: 117).
|
Der alte
Bergmann, dem in der Stube zu „dumpf“ ist, entschließt sich einen nächtlichen
Spaziergang nach den Höhlen, die ihm während des Tages merkwürdig vorkamen und
fragt die Anderen, ob sie Lust hätten, mitzugehen (Novalis 1902: 122, 123). Der
Leser erfährt, dass sie Bewohner des Dorfes bisher Angst von den Höhlen hatten,
die sich so nah bei ihnen befinden. Versuchen wir das nicht nur wortwörtlich
aber auch metaphorisch zu deuten, indem wir an Stelle des Hinabsteigens in die
Tiefen der Erde, das Versenken in die „tiefsinnigen Dinge“ verstehen. Als Resultat bekommen wir ein Bild
von Menschen, die sich davor fürchten – die Angst wird vom Aberglauben
vergrößert, sie wollen sogar Drachen in der Nähe gesehen zu haben, einige sogar
Knochenreste der verzehrten Menschen! (Novalis 1902: 123) Was sind diese
Drachen, könnte man sich fragen. Vielleicht sind sie Symbole einer großen,
geheimen Macht, die von den Menschen nicht kontrolliert oder beherrscht werden
kann; einer gefährlichen Urmacht, die einen unerfahrenen Wagehals verschlingen
oder verbrennen könnte. Die Menschen fühlen es intuitiv, dass es gefährlich
ist, dieses Versenken. Wenn sie aber von einem alten, erfahrenen Führen
eingeladen werden, entscheiden sich Einige, mitzugehen. Merken wir jedoch
dabei, der alte Bergmann macht sich auf den Weg nur mit Licht ausgerüstet,
während die Anderen „zum Überfluβ mit Leitern, Stangen, Stricken und allerhand
Verteidigungswerkzeugen“ (Novalis 1902: 123). Heinrich geht an der Seite des
Alten mit bloßen Händen, den Bauer voran (Novalis 1902: 123). Der Unterschied
zwischen ihm und dem Rest der Gesellschaft wird wieder deutlich. Aber auch der
Mut der Übrigen wird gestuft: „Die Furchtsamsten gingen zuletzt und hielten
ihre Waffen in Bereitschaft“ (Novalis 1902: 124); „Der Alte wollte nun weiter
in den Berg, aber die Bauern fanden für ratsam, sich vor die Höhle
zurückzuziehen … Heinrich, die Kaufleute und der Knabe[20]
[ein Bauernsohn, ganz hingerissen von Steinen und Felsen, als Lehrling
genommen] blieben bei dem Alten“ (Novalis 1902: 125). Wichtig ist, dass der
alte Weise den Entschluss der Bauern, sich zurückzuziehen, nicht beurteilt. Es
gibt Menschen, die nur bis zu einem gewissen Punkt in die Tiefen hinabsteigen
können/wollen, wo die Geheimnisse der Welt und des Geistes zu entdecken sind.
Man darf es diesen Menschen nicht übel nehmen: Der alte Bergmann gibt das
Umstimmen auf; respekt- und verständnisvoll lässt er sie vor der Höhle bleiben.
In der Gesellschaft voller Ungleichheit, dürfen wir also nicht von gegenseitiger
Achtung vergessen, und lieber wäre es, sich die Mannigfaltigkeit der Charaktere
zum Objekt der Freude zu machen, statt unzufrieden zu sein, dass sich etwas
nicht unbedingt mit Allen teilen lässt.
In der
Höhle finden Heinrich und die Anderen einen Einsiedler. Es ist der Graf von
Hohenzollern[21], der
dort in der Einöde wohnt. Er und der alte Bergmann führen lange Diskussion über
Einsamkeit und Entfernung von der Gesellschaft. Heinrich hört zu und erfährt,
dass das Leben in der Einsamkeit keine Menschenfeindlichkeit bedeuten muss
(Novalis 1902: 127) und könnte vorteilhaft sein. Solche Lebensart sei jedoch
nicht für die jungen Leute geeignet. Der Graf von Hohenzollern erzählt:
„Es war eine Zeit in meiner Jugend, wo eine heiβe
Schwärmerei mich veranlaβte, Einsiedler zu werden. Dunkle Ahndungen
beschäftigten meine jugendliche Phantasie. Ich hoffte volle Nahrung meines
Herzens in der Einsamkeit zu finden. Unerschöpflich dünkte mir die Quelle
meines inneren Lebens. Aber ich merkte bald, daβ man eine Fülle von Erfahrungen
dahin mitbringen muβ, daβ ein junges Herz nicht allein sein kann, ja daβ ein
Mensch erst durch vielfachen Umgang mit seinem Geschlecht eine gewisse
Selbständigkeit erlangt.“ (Novalis 1902: 128)
Das ist eine sehr wichtige Lehre, denn oft wird die
Einsamkeit von den Menschen als Flucht vor der Welt gewählt, was jedoch die
allerschlimmste Lösung ist: es besteht die Gefahr, dass es zur Entfremdung
kommt. Sogar der altgewordene Graf – der Eisiedler – verzichtet nicht ganz und
gar auf die gesellschaftlichen Kontakte – zwar sind sie sehr begrenzt, es gibt
sie doch! (Novalis 1902:129)
Der Anfang
des sechsten Kapitels beinhaltet Überlegungen, die für unsere Arbeit von
Schlüsselbedeutung sind. Es handelt sich um die Aufteilung der Menschen in Vita activa- und Vita contemplativa-Typen[22]
(Ritzenhoff 2004: 63-64). Wir können vermuten, dass die Ansichten des Erzählers
mit den des Novalis weitgehend identisch sind. Ein romantisches Individuum,
beispielsweise ein Dichter, aber nicht nur ein Dichter wäre ein Vita contemplativa-Typus. Zeichnen wir
uns die Charakteristik beider Typen, wie sie im Roman fündig ist:
Vita activa-Menschentypen
|
Vita contemplativa-Menschentypen
|
·
„Menschen, die zum Handeln, zur Geschäftigkeit geboren sind“ (Novalis
1902: 139).
·
Sie müssen überall selbst Hand anlegen … und sich gewöhnen, selbst im
Drange groβer Begebenheiten den Faden ihres Zwecks festzuhalten und ihn
gewandt hindurchzuführen (Novalis 1902: 139)
·
Ihre Seele ist „eine emsige, schnell entscheidende Dienerin des
Verstandes“, und muss „nach auβen gerichtet“ sein (Novalis 1902: 139).
·
„Sie sind Helden und um sie herum drängen sich Begebenheiten, die
geleitet und gelöst sein wollen“ (Novalis 1902: 139).
|
·
Ruhige Menschen, „deren Welt ihr Gemüt,
·
deren Tätigkeit die Betrachtung,
·
deren Leben ein leises Bilden ihrer inneren Kräfte ist.“ (Novalis 1902:
139).
·
Ihre Seele ist eine „in sich gekehrte Zuschauerin“ (Novalis 1902: 139).
·
Sie sind genügsam (Novalis 1902: 139).
·
Verwunderung ist für sie kennzeichnend
(Novalis 1902: 139).
·
„Ein einfaches Leben ist ihr Los (Novalis 1902: 140).
|
Wie ein
einziges Menschwesen nicht nur aus dem Gemüt und nicht ausschließlich aus den
„äußere[n] Gliedmaßen und Sinne[n]“ bestehen kann (Novalis 1902: 140), so ist
auch die Gesellschaft ähnlich konstruiert: Die aktiven und die kontemplativen
Menschentypen bilden zusammen eine Ganzheit, einen richtig funktionierenden
Organismus. Wieder kommen wir also zur Schlussfolgerung, dass die
Mannigfaltigkeit der Charaktere innerhalb der Gesellschaft eine positive
Erscheinung ist; eine beinahe biologisch erklärbare Erscheinung.
Berichten
wir noch kurz über den Verlauf der Handlung. Es endet die lange Reise, die
Wandrer kommen endlich in Augsburg an.
Der alte Schwaning begrüßt sie herzlich und ist vergnügt, seine Tochter
und den nie vorhergesehenen Enkel zu sehen. Heinrich wird auf einen älteren
Mann aufmerksam und dieser ist der Dichter Klingsohr. Nach einer Weile lernt er
auch Mathilde kennen, die schöne Tochter des Letzteren. Heinrich wird dem
Dichter als Lehrling empfohlen und verliebt sich in Mathilde. Am Ende des
Kapitels träumt er den Tod seiner Geliebten, was jedoch der ewig dauernden
Liebe kein Ende macht.
Weil
Heinrich als werdender Dichter dem Vita
contemplativa-Typus zuzuschreiben ist, wird es im nächsten Kapitel mehr
Platz dem Thema „Gemüt“ gewidmet. Gleich am Morgen nach der Ankunft beim
Schwaning gehen Heinrich, sein neuer Meister und Mathilde gemeinsam ins Freie
und unterhalten sich über Natur und Geist.
Klingsohr
(und Novalis) lehrt den jungen Menschen, dass es ein Gleichgewicht zwischen dem
Gemüt und dem Verstand geben muss, und dass dieses Gleichgewicht zu erreichen
ist. „Begeisterung ohne Verstand ist unnütz und gefährlich“, lesen wir wie eine
Warnung (Novalis 1902: 154). Klingsohr verurteilt den Begeisterungstaumel oder
die Schwärmerei nicht, allerdings unter der Bedingung, dass diese „von selbst
kommen und nicht gesucht werden“ (Novalis 1902: 155). Wenn man ab und zu solche
Momente erlebt, ist das wohltuend. Wenn das jedoch zu oft vorkommt, wirkt es
„ermüdend“ und „schwächend“ (Novalis 1902: 155) und es ist dann schwierig, „zu
einer regelmäßigen und mühsamen Beschäftigung zurückzukehren“ (Novalis 1902:
155). Das besagte Gleichgewicht gilt auch für die Dichter:
„Die Poesie will vorzüglich … als strenge Kunst getrieben werden. Als
bloβer Genuβ hört sie auf, Poesie zu sein. Ein Dichter muβ nicht den ganzen Tag
müβig umherlaufen und auf Bilder und Gefühle Jagd machen. Das ist ganz der
verkehrte Weg. Ein reines, offenes Gemüt, Gewandtheit im Nachdenken und
Betrachten und Geschicklichkeit, alle seine Fähigkeiten in eine gegenseitig
belebende Thätigkeit zu versetzen und darin zu erhalten, das sind die
Erfordernisse unserer Kunst.“ (Novalis 1902: 156)
In der
Praxis bedeutet das, dass man viel lernen und lesen muss, sich u.a. viel in der
Gesellschaft aufhaltend, um die Menschen und ihre Handwerke kennen zu lernen.
Bemerkenswert
ist auch die Äußerung von Klingsohr: „In der Nähe des Dichters bricht die
Poesie überall aus“ (Novalis 1902: 157). Wenn man diese Aussage auf alle
romantische Individuen erweitert, bekommt man folgende These: In der Nähe des
romanischen Individuums bricht das Romantische überall aus. Es geht hier darum,
dass ein Romantiker das Romanische an allen Dingen erkennt. Wie zum Beispiel
ein Schnitzler die in den Baumstämmen verborgene Formen sieht, ein Tischler nur
praktische Möbelstücke, ein Ornithologe dafür die Wohnstätte bestimmter
Vogelarten, und ein Heide eine göttliche Erscheinung, wird ein Romantiker das
Romantische überall sehen.
Das
Gespräch endet mit Heinrichs Liebeserklärung und offizieller Bitte um Mathildes
Hand. Klingsohr lässt Mathilde die Entscheidung treffen[23];
die Bitte wird angenommen.
Konzentrieren
wir uns jetzt auf die weiteren vom Klingsohr angestellten Betrachtungen, mit
welchen das nächste Kapitel anfängt, und welche als Fortsetzung des vorigen
Gesprächs zu verstehen sind.
Vorwiegend
wird es über Poesie gesprochen. Der alte Dichter ist der Ansicht, dass sowohl
im jeden einzelnen Menschen, wie auch in der ganzen Natur das Poetische und das
Unpoetische vorkommt. „Es ist in ihr, wie in dem Menschen, ein
entgegengesetztes Wesen, die dumpfe Begierde und die stumpfe Gefühllosigkeit
und Trägheit, die einen rastlosen Streit mit der Poesie führen“ (Novalis 1902:
159). Man kann bei diesen Worten für eine Weile stehenbleiben, um nachzudenken,
welche Konsequenzen eine solche „entgegengesetzte“ Konstruktion der Menschen im
Angesicht ihres gesellschaftlichen Lebens hätte. Erstens wäre es der Mühe wert,
sich selbst zu beobachten, um unterscheiden zu können, unter welchem Einfluss –
des Poetischen, oder des Stumpfen/Trägen wir uns im einem konkreten Moment
befinden. Diese Kenntnis des eigenen Selbst verursacht, dass man sich viel
bewusster verhält. Andererseits, wenn wir uns darüber klar werden, dass in
jedem, selbst dem scheinbar gefühllosesten Menschen das poetische Element
verborgen lebt, können wir versuchen, es aus ihm herauszuziehen. Das
Poetische/Romantische in uns kann das Poetische/Romantische in Anderen an sich
ziehen. Wiederholen wir noch einmal Klingsohrs Worte: „In der Nähe des Dichters
bricht die Poesie überall aus“ (Novalis 1902: 157). Daraus folgt, dass man mit
seinem Gemüt unterbewusst seine Umgebung beeinflusst und, dass es sich
vielleicht auch bewusst machen lässt. Klingsohr ist der Meinung, dass die
Menschen oft nichts von ihrem poetischen Element wissen; das bedeutet jedoch
nicht, dass es dieses Element deswegen nicht gibt. „Dichtet und trachtet nicht
jeder Mensch in jeder Minute? … Man betrachte nur die Liebe. Nirgends wird wohl
die Notwendigkeit der Poesie zum Bestand der Menschheit so klar als in ihr“
(Novalis 1902: 161).
Auf diese
Weise kommen wir zum Thema Liebe über. Die oben angeführte Aussage endet mit
dem Versuch, den Zusammenhang von Poesie und Liebe zu erklären: „Die Liebe ist
stumm, nur die Poesie kann für sie sprechen. Oder die Liebe ist selbst nichts
als die höchste Naturpoesie (Novalis 1902: 161).
Danach geht der alte Dichter heraus. Heinrich und
Mathilde bleiben allein. Jetzt führen sie miteinander ein entzücktes
Liebesgespräch, sich gegenseitig ewige Treue schwörend. In diesem Gespräch wird
sichtbar, wie heilig die Liebe dem Autor des Romans war. Wenn sein junger Held
sagt:
„O, Geliebte, der Himmel hat dich mir zur Verehrung
gegeben. Ich bete dich an. Du bist die Heilige, die meine Wünsche zu Gott
bringt, durch die er sich mir offenbart, durch die er mir die Fülle seiner
Liebe kund thut. … Ich habe ewig an dir zu atmen; meine Brust wird nie
aufhören, dich in sich zu ziehn. Du bist die göttliche Herrlichkeit, das ewige
Leben in der lieblichsten Hülle.“ (Novalis 1902: 162)
– wenn sein Held eine solche, beinahe religiöse,
Liebesbekenntnis äußert, dann hören wir gleich Novalis` Worte, die er von
seiner eigenen Braut geschrieben hatte: „Ich habe zu Söphen Religion, nicht
Liebe“ (zit. nach: Prokoffieff 1987: 204). Durch Liebe können wir uns der
Ewigkeit nähern, und fühlen, was Unsterblichkeit ist.
Im Kapitel
II.4 dieser Arbeit haben wir die „qualitative Potenzierung“ besprochen:
„[d]urch die Einbildungskraft verwandelt und steigert man sich selbst und den
anderen“ (Safranski 2007: 115). Heinrich spricht zu Mathilde: „Könntest du nur
sehn, wie du mir erscheinst, welches wunderbare Bild deine Gestalt durchdringt
und mir überall entgegenleuchtet, du würdest kein Alter fürchten. Deine
irdische Gestalt ist nur ein Schatten dieses Bildes. … das Bild ist ein ewiges
Urbild“ (Novalis 1902: 162, 163). Für den jungen Heinrich wichtig ist vor
allem, was ihm die Geliebte bedeutet, und sie ist für ihn eine Glasscheibe
zwischen der irdischen und der überirdischen Welt, durch die er das Höhere
sehen kann. Die Liebenden ziehen etwas voneinander, wonach sie sich früher –
als sie getrennt waren – nur sehnten. Es ist nicht nur ein Bund zweier Herzen –
sondern es ist auch ein Bund des Gewöhnlichen mit dem Göttlichen.
Das neunte
Kapitel besprechen wir nur flüchtig, obwohl es ein wichtiger Teil des Romans
ist. Es wird das sogenannte Klingsohr-Märchen erzählt – eine allegorische
Geschichte, die mit der Darstellung der Welt als Sklavin des empirischen, des
„versteinernden“ und des „versteinerten“ Verstandes beginnt (Ritzenhoff 2004:
84). Letzten Endes wird die Welt mit Kräften von Liebe und Poesie gerettet und
nähert sich dem neuen „goldenen Zeitalter“. Dieses Märchen ist auch eine
gewisse Vorwegnahme der Ereignisse im zweiten Teil des Romans (Ritzenhoff 2004:
78). Diese Tatsache ist von unschätzbarer Bedeutung, weil es nur den Anfang des
zweiten Teils gibt. Novalis war es nicht gegeben, sein Werk beenden zu dürfen –
der frühe Tod durchkreuzte alle Pläne. Obwohl das Märchen von einer so großen
Bedeutung für die Handlung – und für die Deutung – des Romans ist, verzichten
wir auf genauere Darstellung, denn Heinrich – der junge Held, dessen Koexistenz
mit seinen Mitmenschen zu untersuchen das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist,
spielt hier die Rolle des Zuhörers. Das Eine muss jedoch hervorgehoben werden –
das nämlich, dass es (wie das Märchen prophezeit) zur Aufhebung des
(empirischen) Verstandes und des Todes kommen wird (Ritzenhoff 2004:103). Das
ist sehr wichtig, wenn man, den zweiten Teil beginnend, von dem Tod Mathildes
erfährt. Auch das scheint mit der Biographie des Autors verknüpft zu sein. Auch
er hatte seine geliebte Sophie/Sophia früh verloren. Wie wir jedoch im Kapitel
III dieser Arbeit feststellten, eben an ihrem Grab verklärten sich ihm die
himmlischen Geheimnisse.
Der zweite
Teil, „die Erfüllung“, wie selbst der Name vermuten lässt, sollte ein gutes,
optimistisches Ende haben, und den Lesern den Weg nach der „Erfüllung“ zeigen.
Jedoch Heinrich – und Novalis – verlassen uns irgendwo in der Mitte dieses
Weges. Bedauerlicherweise müssen uns nur die Ratschläge reichen, die wir bisher
bekommen haben. Es gibt noch einen, und zwar ganz am Anfang des
„Erfüllung“-Teils – einen solchen, der wie eine Warnung klingt.
Im ersten
Kapitel des „Erwartung“-Teils begegneten wir dem Vater von Heinrich, der einmal
auch von der blauen Blume träumte, worüber er jedoch dann völlig vergaß, weil
er sich gänzlich der Vita-activa
gewidmet hatte. Im zweiten Teil, während eines Gesprächs denkt Heinrich darüber
nach:
„Wohl … habe ich in ihm oft mit Schmerzen eine stille
Wehmut bemerkt. Er arbeitete unaufhörlich aus Gewohnheit und nicht aus innerer
Lust, es scheint ihm etwas zu fehlen, was die friedliche Stille seines Lebens,
die Bequemlichkeiten seines Auskommens, die Freude, sich geehrt und geliebt von
seinen Mitbürgern zu sehn und in allen Stadtangelegenheiten zu Rate gezogen zu
werden, ihm nicht ersetzen kann. Seine Bekannten halten ihn für sehr glücklich,
aber sie wissen nicht, wie lebenssatt er ist, wie Leer ihm oft die Welt
vorkommt, wie sehnlich er sich hinweg wünscht, und wie er nicht aus Erwerblust,
sondern um diese Stimmung zu verscheuchen, so fleißig arbeitet.“ (Novalis 1902:
205)
Das ist eine Warnung für jene romantischen Individuen,
die mitten im Weg nach ihrer Erfüllung stehenbleiben, oder zurückkehren: Die
zweite Chance kann es nicht geben; wenn ihr sie verpasst, sei es aus Angst,
Bequemlichkeit, Schwäche, oder wegen der Gesellschaft, die euch an sich
angepasst sehen will, könnt ihr das später bedauern. Mit der Gesellschaft, wie
uns der Roman zeigt, kann man friedlich leben, wenn man wirklich danach strebt.
Aber es ist unmöglich, mit sich selbst im Frieden zu sein, wenn man auf eigene
Erfüllung verzichtet.
Gleich darauf werden wir noch einer Warnung fündig. Es
handelt sich um die zerstörerische Wirkung der elterlichen Erzeugung, die oft
nichts als eine Manipulation ist, ein Aufzwingen eigener Gesinnungen und
Lebensweise. Auch hier können wir eine Parallele zwischen dieser Stelle im
Roman und Novalis` Biographie finden. Wenn man sich an das schwierige und
komplizierte Verhältnis erinnert, in dem der junge Friedrich mit seinem Vater
stand, was eben durch den Versuch des Sohnes, einen etwas anderen Weg zu gehen,
verursacht wurde, dann wundert uns die folgende Stelle im „Ofterdingen“ nicht:
[über Heinrich:] „Ihr habt von Glück zu sagen, dass ihr
habt aufwachen dürfen, ohne von Euren Eltern die mindeste Beschränkung zu
leiden, denn die meisten Menschen sind nur Überbleibsel eines vollen Gastmahls,
das Menschen vom verschiedenen Appetit und Geschmack geplündert haben.“
(Novalis 1902: 205)
Lassen wir
die Warnung in dieser Form ausklingen, ohne sie in unnütze Worte zu bekleiden.
Die Botschaft ist direkt und braucht nicht, analysiert zu werden.
Mit diesen
zwei Warnungen wollen wir nun den Teil der Arbeit abschließen, die dem
unvollendeten Roman des jungverstorbenen Friedrich von Hardenberg, genannt
Novalis, gewidmet war.
6. Schlussbetrachtung
Die vorliegende Arbeit sollte die Antwort auf die Frage
geben, inwieweit es für ein romantisches Ich möglich ist, in der Gesellschaft
ungestört zu existieren, und wie es sich seinen Mitmenschen gegenüber verhalten
sollte, um sich eine friedliche Koexistenz mit ihnen zu erringen, ohne dabei
seine eigene Individualität opfern zu müssen.
Nach der
kritischen Untersuchung des gewählten literarisch-philosophischen Stoffes,
worunter der erste – vollendete – Teil des Romans von Novalis zu verstehen ist,[24]
können wir Folgendes feststellen: Ein romantisches Individuum kann in der
Gesellschaft existieren, ohne dabei seine Individualität zu verlieren. Dies ist
jedoch nur dann möglich, wenn die Welt- und Selbsterkenntnis sowie das
„Poetisieren“ von gewisser Disziplin, Wachsamkeit und respektvollem Verhalten
begleitet werden; empfehlenswert ist auch, eine solche Lebensart zu wählen, die
mit den Ansichten und der Natur des Menschen übereinstimmen würde – darunter
wird vor allem die passende Arbeitsstelle gemeint.
Die Lösung
der Frage ist also positiv. Es gibt Wege, die nach der Koexistenz führen. Diese
Wege sind jedoch lang, manchmal vielleicht mühsam; Abkürzungen gibt es in
diesem Fall nicht. Trotzdem sind diese Wege betretenswert, denn – wenn man sich
aufgibt und den Anderen anpasst, was das gleiche ist mit dem Versuch, eigene
Natur zu verdrängen – dann findet man am Ende seiner Wanderung keine
Zufriedenheit, geschweige denn eine Erfüllung.
7. Zusammenfassung auf Polnisch
Niniejsza
praca magisterska to w pewnym sensie poradnik, stworzony z myślą o duchowych
spadkobiercach romantyzmu, o ludziach, którzy szukając wszędzie poezji,
głębokiego sensu, mistycyzmu, muszą przecież żyć, zarabiać, dawać sobie radę w
społeczeństwie. Problem koegzystencji indywiduum romantycznego ze
społeczeństwem jest nadal bardzo aktualny.
W celu znalezienia odpowiedzi na
pytanie, w jaki sposób indywiduum romantyczne powinno postępować, żeby zapewnić
sobie jak najlepsze stosunki ze społeczeństwem, autorka tej pracy obrała sobie
za cel krytyczną analizę nieukończonej powieści jednego z czołowych
przedstawicieli niemieckiego romantyzmu – piszącego pod pseudonimem „Novalis”
Friedricha von Hardenberga.
Przygotowaniem do tej analizy była
część teoretyczna pracy, gdzie konflikt pomiędzy indywiduum romantycznym a
społeczeństwem omówiono w nieco szerszym aspekcie, przedstawiając pokrótce
poglądy różnych twórców epoki romantyzmu, a także podłoże filozoficzne.
Następnie została przedstawiona biografia Novalisa, gdzie szczególny nacisk
położono na duchowy rozwój i światopogląd pisarza. Tamże postawiona została
również teza, że w przypadku jego mistycyzmu, nie da się mówić o wyobcowaniu
lub o odsunięciu się od ludzi. Teza ta znajduje swoje potwierdzenie w
szczegółowej analizie nieukończonej powieści „Heinrich von Ofterdingen”.
Ponieważ jest to dzieło światopoglądowe, należy przyjąć, że rozwiązania
sytuacji konfliktowych, ukazane w powieści, zalecane są przez jej autora.
Bardzo dokładnie zanalizowano i
zinterpretowano szereg różnych sytuacji, ukazanych w powieści, od – wydawałoby
się – bardzo błahych, związanych z codziennym życiem, po bardziej złożone,
gdzie w grę wchodzi na przykład manipulacja lub gdzie trzeba podjąć decyzje,
mające zaważyć o własnej i nie tylko własnej przyszłości. Analiza nie zamyka się
do postępowania głównego bohatera, można ją również traktować jako przyczynek
do analizy własnych zachowań.
Wnioski po zbadaniu materiału są
optymistyczne: koegzystencja pomiędzy indywiduum romantycznym a społeczeństwem
jest możliwa, a dróg, wiodących do tego celu jest wiele. Tym niemniej wymagana
jest czujność, praca nad samym sobą, pewna dyscyplina. Bardzo ważnym okazuje
się szacunek względem innych, czy przyglądanie się sprawom z różnych
perspektyw. Dowiadujemy się też, jak ważne w tym wszystkim jest życie zgodne z
własnymi przekonaniami i z własną naturą.
8. Literaturverzeichnis und Bildquellen
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Julia, Eine romantische Liebe in Briefen.
Zur Liebeskonzeption im Briefwechsel von
Sophie Mereau und Clemens Brentano. Königshausen & Neumann. Würzburg 2005
Sophie Mereau und Clemens Brentano. Königshausen & Neumann. Würzburg 2005
Böttcher,
Kurt, Mittenzwei, Johannes, Berger, Karl Heinz, Schaefer, Klaus, Grohnert
Dietrich:
Romantik. Volk und Wissen. Volkseigener Verlag. Berlin 1973
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Charpentier,
Marc, Cros, Rotraud, Dupont, Ute, Marcou, Carmen, Sprechende Bilder. Deutsch
lernen mit Kunstbildern. Caspar David Friedrich: Kreidefelsen auf Rügen. Verlag
Klett Edition Deutsch. München 1993
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Dohmke, J.: Novalis` Werke. Fouqués Undine. Meyers
Klassiker-Ausgaben. Leipzig-Wien 1902
Friedemann,
Hermann: Novalis` Werke in vier Teilen.
Zweiter Teil. Deutsches Verlagshaus
Bong & Co. Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart ohne Jahr
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Wydawnictwo Morskie. Gdańsk 1972
Lutz, Bernd,
Jeβing,
Benedikt: Metzler Autoren Lexikon.
Deutschsprachige Dichter und
Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart. J.B. Metzler. Stuttgart-Weimar 2004
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Meding,
Dorothee: Über romantische Subjektivität.
Inauguraldissertation zur Erlangung des
Grades eines Doktors der Philosophie im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der
Johann Wolfgang Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1981
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Ritzenhoff,
Ursula: Erläuterungen und Dokumente. Novalis. Heinrich von Ofterdingen. Philipp
Reclam jun. Stuttgart 2004
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Safranski,
Rüdiger: Romantik. Eine deutsche Affäre.
Carl Hanser Verlag. München 2007
Schmitt,
Hans-Jürgen, Die deutsche Literatur in
Text und Darstellung. Romantik I. Philipp
Reclam jun. Stuttgart 1993
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Schmitt,
Hans-Jürgen, Die deutsche Literatur in
Text und Darstellung. Romantik II. Philipp
Reclam jun. Stuttgart 1992
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Senckel,
Barbara: Individualität und Totalität.
Aspekte zu einer Antropologie des Novalis. Max
Niemeyer Verlag. Tübingen 1983
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Straszewska, Maria: Romantyzm.
Państwowe Zakłady Wydawnictw Szkolnych. Warszawa
1969
1969
http://esensja.pl/ksiazka/wywiady/tekst.html?id=1643
Bildquellen (der Reihe nach):
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Caspar_David_Friedrich_053.jpg&filetimestamp=20080217202201
http://de.wikipedia.org/wiki/Abtei_im_Eichwald
http://de.wikipedia.org/wiki/Kreidefelsen_auf_R%C3%BCgen
http://weisheiten-aus-jahrtausenden.de/person.php?author=Novalis,
http://catdirtsez.blogspot.com/2012/05/show-review-skrillex-wolfgang-gartner.html
[1] Es ist üblich, die
Endphase der literarischen Romantik in der bürgerlich-demokratischen Bewegung
um 1830 (Böttcher et al. 1973: 77)
zeitlich zu orten, jedoch auch das Jahr
1848 wird oft in Frage genommen.
[2] Als musikalische
Strömung erstreckte sich die Romantik von ca. 1820 bis über die Grenzen des 19.
Jahrhunderts.
[3] Dies betrifft auch
die Emanzipation auf künstlerischem Gebiet.
[4] Jena wurde 1799 zum
Treffpunkt beinahe aller Schriftsteller und Theoretiker der frühen Romantik.
(Böttcher et al. 1973: 79)
[5] Herausgegeben seit 1798
von den Brüdern Schlegel; eingestellt 1800. (Böttcher et al. 1973: 79)
[6] Nicht vergessen
soll aber die Tatsache werden, dass Klassik und Romantik parallel verliefen.
[7] Ein Beispiel für
die so genannte “romantische Ironie”. Vgl. den Aufsatz „Ironie – Begriff und
Methode“ (Schmitt 1993, 2: 99).
[8] Man kann hierbei
das bekannte Novalis` Fragment „Die Christenheit oder Europa“ als Beispiel
erwähnen (Schmitt 1993, 1: 161-182).
[9] Der Begriff wurde
von einem der Haupttheoretiker der Romantik, Friedrich Schlegel, geprägt. Das
Wort „universal“ weist auf die Verschmelzung aller getrennten Gattungen hin;
der „progressive“ Charakter bezieht sich auf eine gezielte Unabgeschlossenheit,
auf das ständige Werden, in dem die romantische Dichtart sein sollte. (Böttcher
et al. 1973: 111-112).
[10] Die Philosophie
des Novalis wurde von ihm selbst nicht systematisiert. Man kann diesen
Sachverhalt dem frühen Tod des Dichters zuschreiben; das gezielte Verorten der
philosophischen Inhalte im literarischen Werk kann aber auch den
Voraussetzungen der „progressiven Universalpoesie” entsprechen und somit den
Absichten des Autors.
[11] "Zeitung für die elegante
Welt" (Nr. 250/1829)
[12] Gutes Beispiel dafür
wäre die Klage von Ludwig Tieck: „Vielleicht rührt manchen Leser das
Fragmentarische dieser Verse und Worte so wie mich, der nicht mit einer
andächtigern Wehmut ein Stückchen von einem zertrümmerten Bilde des Raphael
oder Correggio betrachten würde“ (Tieck in: Novalis 1902: 255).
[13] Schleiermacher
vermied in der Regel Anführungen von Liederversen in seinen Predigten. Nur
selten finden sich dort einzelne „geliehene“ Wendungen; ganze Strophen zu
zitieren war ihm undenkbar. Die Predigt aus dem Jahre 1831 stellt also die
einzige Ausnahme dar (Hardenberg 2010: 280).
[14] Am 29. Dezember
1912.
[15] Novalis schreibt
darüber in einem Brief an Friedrich Schlegel: „Philosophie ist die Seele meines
Lebens, und der Schlüssel zu meinem eigenen Selbst“ (Hardenberg 2010: 135).
[16] Auf diese Weise
charakterisierte sie F. Schlegel (Safranski 2007: 110).
[17] Natur, Mensch und Geist
fließen zusammen, vereinigen sich, was Novalis` Vorstellungen des neuen
„goldenen Zeitalter“ entspricht.
[18] Es erhebt sich
hier die Frage, was kann ein Schöngeist/Künstler tun, der kein Glück hat,
Anerkennung und Belohnung zu genießen, sei es wegen irgendwelcher
„Rahmenbedingungen“ oder – fürchten wir das nicht zu sagen – wegen mangelnder
Begabung (es gibt sicherlich viele Menschen, die einen Sinn für die schönen
Künste haben, die aber selbst mittelmäßig darin sind – zu klein, um sich daraus
eine richtige Beschäftigung machen zu können). Novalis meinte, dass das
schlimmste, was man sich selbst antun kann, ist ein Leben in Unzufriedenheit
(Hardenberg 2010 : 80). Ob die Umstände für uns günstig sind, oder nicht,
müssen wir alles machen, um ruhig zu bleiben. Vieles darüber finden wir in
einem der Briefe des Dichters, den er am 16. März 1793 an seinen geliebten
Bruder Erasmus geschrieben hatte . Erasmus war auch ein sehr begabter junger
Mann, selbst Novalis versprach sich von ihm viel. Unglücklicherweise erkrankte
er schwer und sein Arzt riet ihm – wegen sitzender Lebensart – das weitere
Studieren ab. Der Vater schickte ihn nach Hubertusburg, wo er nun das Forstfach
praktisch erlernen sollte (Hardenberg 2010: 75). Es fällt nicht schwer sich
vorzustellen, wie Erasmus damals zusammengebrochen sein musste. Novalis schrieb
ihm Folgendes: „Glaube mir, wir können Alles aus uns selbst herausbilden, und
nichts von innerlicher Zufriedenheit und Beständigkeit ist an eine äußerliche
Stelle gebunden. Man hat Langeweile und Verdruβ, findet Unbedeutendheit und
Leerheit, martert sich mit kränkelnder Empfindung und Phantasie, ebenso gut in
den vielseitigsten Verhältnissen, wie in dem beschränktesten Zirkel“
(Hardenberg 2010: 72-73). Und weiter: „Das nil admirari des Horaz und
zweckmäßige, anhaltende Beschäftigung, sind Hilfsmittel, seinen Charakter fest
und seine Ruhe, Unbefangenheit und gute Laune dauerhaft zu machen“ (Hardenberg
2010: 74).
[19] Derjenige, der
sich mit Novalis` Aufsatz „Christenheit oder Europa” vertraut gemacht hatte,
wird diese These bestimmt nicht verneinen.
[20] Die Tatsache, dass
der Knabe - ein Bauernsohn - mit Heinrich und dem Alten Schulter an Schulter
vorwärts geht, kann so gedeutet werden, dass die Fähigkeit, sich dem
Überirdischen zu nähern, unabhängig ist von der Ausbildung, dem
gesellschaftlichen Stand und dem Alter.
[21] Es handelt sich um eine
fiktive, nicht etwa historische Gestalt (Ritzenhoff 2004: 57).
[22] Diese lateinischen Bezeichnungen treten
im Roman nicht auf.
[23] Das ist eine wichtige
Stelle im Roman, denn sie stimmt mit dem romantischen Programm der
Frauenemanzipation überein. Die Frau, nicht die Familie, entscheidet, ob sie
jemanden heiraten wird oder nicht.
[24] Genauer gesagt – die
ersten acht Kapitel des ersten Teils und der Anfang vom ersten Kapitel des zweiten
Teils.
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